Der Anfang und eine Erklärung

Laufendes Gut

Was ist denn das für ein Titel für einen Blog – Laufendes Gut? Nun, der Begriff kommt aus der Schifffahrt und bezeichnet alles Tauwerk, alle Drahtseile oder Ketten, die nicht an beiden Enden befestigt sind und sich bewegen. Im Gegensatz zum stehenden Gut, das vor allem der Stabilität des Schiffs dient – wie Stage und Wanten, die einen Mast aufrecht halten –, ist das laufende Gut dazu da, ein Schiff zu steuern und anzutreiben. Auf dem Segelschiff, dem umweltfreundlichsten Transportmittel zur See, gehören zum laufenden Gut unter anderem:
• Fallen, um Segel zu setzen,
• Schoten, mit denen die Besatzung die Stellung der Segel reguliert,
• verschiedene Strecker und Reffleinen oder -taljen, um die Segelfläche zu trimmen und bei stärkerem Wind zu verkleinern,
• Brassen, mit den auf einem Windjammer die Rahen mit den großen rechteckigen Segeln seitlich bewegt und fixiert werden,
• Dirke, die einen Baum hochhalten,
• und wenn man es etwas weiter fasst (Segler werden jetzt den Kopf schütteln) auch die Ankerkette und Festmachleinen, die für eine sichere Abfahrt und Ankunft nötig sind.

Ohne laufendes Gut ist also das schönste Segelschiff nutzlos, weil man damit nicht dorthin kommt, wo man hinkommen möchte. Und das erscheint mir eine passende Metapher für die Klimaforschung im weitesten Sinne zu sein. Sie ist längst dem Stadium entwachsen, wo sie allein dokumentierte, welche Veränderungen der Anstieg der Treibhausgas-Emissionen in der Atmosphäre oder im Ozean bewirkt, was die globale Erwärmung für Mensch, Tier und Pflanze bedeutet. Die Basis dieses Wissens ist breit, und der Einfluss der Menschheit inzwischen unbestreitbar.

Spannender und mehr der offenen Diskussion unterworfen sind die Fragen, wie die Bewohner dieses Planeten die Auswüchse dieser Entwicklung mindern und sich den unvermeidbaren Veränderungen anpassen. Hier trifft die physikalische, biologische oder ökonomische Forschung auf Politik und Moral. Und dann gibt es eben keine Ergebnisse mit naturwissenschaftlicher Präzision, sondern eine Reihe von Optionen, die zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden müssen (so argumentieren zum Beispiel der britische Forscher Mike Hulme und Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (hier und hier)). Genau wie auf einem Segelschiff die Besatzung entscheiden muss, wie sie an ihr Ziel kommt, wenn der Wind nicht gerade optimal schräg von hinten („raumschots“) kommt. Und in der Klimadebatte weht einem der Wind ja eher direkt ins Gesicht.

Im Prinzip könnten wir als Menschheit uns ja auf den Standpunkt stellen, dass wir einfach dahin segeln, wohin der Wind uns treibt. Außerhalb der Metapher, die ich ja auch nicht überstrapazieren will, hieße das, die Risiken zu akzeptieren und es gleichgültig hinzunehmen, wenn arme Bauern in Afrika wegen veränderter Regenmuster ihre Existenzgrundlage verlieren. Oder Bewohner von Südsee-Inseln eine neue Heimat brauchen, weil die alte überspült wird oder zumindest alle Wasserquellen vom steigenden Meeresspiegel versalzt werden. Meine Position ist das nicht, um es klar zu sagen, und auch nicht die Linie, die Staaten bei Verhandlungen über einen globalen Klimavertrag wenigstens offiziell vertreten. Weil der Klimawandel die Armut der Menschen in vielen Entwicklungsländern enorm verschärfen wird, muss eine Strategie gegen die globale Veränderung auch gleichzeitig die soziale und ökonomische Situation von Milliarden Menschen mitdenken. Im besten Fall löst die Menschheit die Probleme Klimawandel und Armut gleichzeitig.

Klimaforschung kann uns auf dieser Reise in die Zukunft die Mittel in die Hand geben, den richtigen Weg zu finden. Wir werden ständig über den Kurs diskutieren und ihn womöglich anpassen müssen. Darüber soll dieser Blog berichten. Manche Beiträge werden einfache Meldungen sein, andere eher Einordnungen oder Kommentare. Als gelernter Journalist werde ich mich um eine Trennung von Nachricht und Meinung bemühen und es kenntlich machen, wenn ich etwas bewerte anstatt nur zu berichten. Ob das dann auch laufend gut ist, liegt im Urteil meiner Leser.

Hamburg, im Oktober 2015, Christopher Schrader

PS: Ein Detail zum laufenden Gut noch, das ich mir nicht verkneifen kann. Es heißt im Englischen running rigging und Wikipedia berichtet, dass es im Gegensatz zum stehenden Gut in der Vergangenheit nicht mit Teer zum Schutz gegen die Elemente bestrichen wurde, weil das Tauwerk ja flexibel bleiben sollte und man Umlenkrollen und Taljen (Flaschenzüge) nicht verkleben wollte. Teer ist ein Produkt aus Erdöl oder Kohle, und laufendes Gut war frei davon. Was will man mehr?


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