Blick von einem Ausliegerboot über klares Wasser zu gegenüberliegenden Inseln. Im Bug steht ein Mann mit einer roten Kappe.

Schonzeit für Riffe

Wenn die Fische zu scheu wurden, gaben ihnen die Dorf-Ältesten eine Auszeit. In der Gemeinschaft der Muluk, wohnhaft an der Ostküste der Insel Karkar in Papua-Neuguinea, stoppten sie die Fischerei über einigen Dutzend Hektar Korallenriffen, wenn die Fänge zu stark zurück gingen. Nach ein oder zwei Jahren, so erzählte man sich in den Dörfern, würden die Fische wieder zahm sein und die Speerfischer nahe genug an sich heran lassen.

Schon wegen der Bilder wollte ich diesen Blog-Beitrag unbedingt machen. Er ist aber auch inhaltlich  spannend, weil er zeigt, wie Menschen das Schicksal der Riffe mitbestimmen – und zwar nicht nur die anonymen Massen, also wir alle, die überall auf der Welt Treibhausgase in die Atmosphäre blasen und so zur Erwärmung und Versauerung der Ozeane beitragen. Sondern ganz besonders die Menschen, die in der Nähe der Riffe leben und entweder in Einklang mit ihnen oder eben nicht.

Diese Geschichte hat Joshua Cinner von der James Cook University in Townsville/Australien schon 2006 aufgeschrieben. Aber jetzt hat er sie mit vielen anderen Beispielen noch einmal verwendet, um zu erklären, warum es manchen Riffen besser geht als erwartet. Mit einem großen, internationalen Team vom Kollegen hat der Australier in Nature mehr als 2500 Riffe in 46 Ländern und Territorien untersucht. Dabei sind ihnen neben Karkar noch 14 weitere Beispiele aufgefallen, wo die Gemeinschaft von Korallen und Fischen deutlich gesünder und vielfältiger war als man annehmen konnte. Neben diesen „bright spots“ aber gab es auch 35 „dark spots“, wo der schlechte Zustand des Ökosystems nicht recht durch bekannte Einflussgrößen zu erklären war.

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Eine Übersicht, wo die „bright“ und „dark spots“ liegen und wie die Forscher sie definiert haben. Quelle: Cinner et al, Fig. 2, Nature   doi:10.1038/nature18607

Die Wissenschaftler haben über den Riffen die gesamte Biomasse erfasst und mit 18 bekannten Indikatoren verglichen, von denen sie abhängen können. Dazu gehören Faktoren wie die Größe und Umgebung des Riffs, aber auch die Nähe zu möglichen Abnehmern der gefangenen Fische, und die Fragen, ob das Riff geschützt ist und ein solcher Status auch beachtet wird, wie schnell die Bevölkerung der benachbarten Orte wächst und wie viele Touristen die Gegend besuchen. Mit diesen Variablen ließ sich die Biomasse für 2450 der Riffe einigermaßen erklären, aber die 50 „bright“ und „dark spots“ zeigten deutlich andere Werte als vorherberechnet (um mehr als zwei Standardabweichungen höher oder niedriger). „Die bright spots sind nicht unbedingt unberührt“, sagt Cinner, „sie haben nur mehr Fische als sie sollten, wenn man den Druck bedenkt, unter dem sie stehen.“ Tatsächlich liegen zehn der 15 positiven Beispiel in bewohnten Regionen und acht werden aktiv befischt.

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A villager returns to his canoe with a unicornfish (Naso hexacanthus) he has speared using a handmade speargun. Spearfishing is popular in the Manus Province of Papua New Guinea as it is highly selective.

Speerfischen ist zwar für die einzelnen Fische genau so tödliche wie Netze. Doch für Ökosysteme als Ganzes ist die Methode viel schonender. Bilder aus Papua-Neuguinea. Fotos: Tane Sinclair-Taylor

Auf der Suche nach den Gründen haben die Forscher um Cinner einige weitere Faktoren untersucht und mit vielen Leuten aus  umliegenden Gemeinden gesprochen. So zeigte sich, dass es in etlichen der „bright spots“ lokale Tabus oder Vorschriften ähnlich wie auf Karkar gab. Nicht immer handelte es sich um etwas, das Bürger von Industriestaaten vermutlich als Aberglaube bezeichnen würde, wie die Sage, die die Insel auf dem Foto oben umgibt: Angeblich lebt dort ein Dinosaurier, den man vielleicht besser nicht stört. Etwas nüchterner ist die Aussage der Studie, dass in vielen der 15 Positiv-Beispiel die Anwohner in hohem Maß vom Fischfang abhängen und sich deswegen für die langfristige Erhaltung einsetzen. Hilfreich für die Gesundheit des Ökosystems ist auch die Nähe zu tiefem Wasser, weil es Fischpopulation widerstandsfähiger macht.

Bei den „dark spots“ wirkten sich vor allem der Einsatz von Motorbooten und Netzen negativ aus sowie die Verbreitung von Gefriertruhen, um Fänge vor dem Transport zu lagern.  „Die klassischen technischen Maßnahmen des Fischereimanagements entpuppen sich also als Fallen, die zu Ressourcenübernutzung führen“, sagt Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für marine Tropenökologie in Bremen, der ebenfalls zu Forscherteam gehörte.

Zudem gehörten zu den 35 einige Riffe, die schon Umwelt-Schocks erlebt hatten, sich also von einer Bleiche oder dem Einfall eines Zyklons erholten. Besonders das ist eine schlechte Nachricht, weil die Menge der gestressten Korallen inzwischen deutlich zunimmt. In Australien haben Wissenschaftler gerade dokumentiert, wie schlecht es vielen Teilen des Great Barrier Reef geht (hier und hier). Mehr als 2500 Wissenschaftler und Betroffene wenden sich darum gerade einen offenen Brief an den australischen Premierminister und fordern, die Kohlewirtschaft des Landes einzuschränken und keine neuen Bergwerke mehr zuzulassen. In den USA wiederum
erwartet die Meeresbehörde Noaa ein drittes Jahr mit überhöhten Temperaturen in Folge, die das Bleichen der Korallen auslösen können.

PS: Die Cinner-Studie ist jetzt auch von der Washington Post mit einem Videobeitrag aufgegriffen worden.


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