Archiv für den Monat: April 2016

Paris und das Klima – im Großen und Kleinen

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Früher Morgen am Quai du Voltaire. Die Straßen, bemerkt der Paris-Reisende Henry Lawford, seien perfekt gesäubert. Und gekühlt. Foto: Flickr/Henry Lawford 

Hamburg, 22. April 2016

Paris geht heute einmal mehr in die Geschichte ein. Unter den Klimavertrag, der dort im vergangenen Herbst ausgehandelt wurde, setzen in New York bei den Vereinten Nationen die ersten Staaten ihre Unterschrift. Das Abkommen soll helfen, die Erwärmung der Welt tatsächlich auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, womöglich aber auch auf 1,5 Grad.

Der französische Präsident François Hollande hat bei der Zeremonie als Erster zum Füller gegriffen. Barbara Hendricks, die deutsche Umweltministerin war um 18:40 Uhr deutscher Zeit dran. Der US-Außenminister der USA, John Kerry, hielt seine zweijährige Enkeltochter bei der Unterschrift auf dem Schoß. Für jeden der Regierungschefs oder Minister wird die entsprechende Seite in einem dicken Buch aufgeblättert; nach etwa 40 Sekunden ist dann schon der nächste dran. Insgesamt hatten 171 Länder angekündigt, den Vertrag schnell zu unterzeichnen. 13 Staaten, vor allem Inselstaaten aus der Gruppe der Entwicklungsländer, wollen sogar bereits die Ratifikationsurkunden hinterlegen (Länder wie Barbados, die Malediven, Mauritius, Fidschi und Tuvalu, aber auch Somalia, Palästina und Belize). Das reicht zwar noch nicht, damit der Vertrag völkerrechtliche Gültigkeit erhält, aber es ist ein wichtiger symbolischer Schritt. In Kraft treten kann der Vertrag nämlich erst, wenn ihn mindestens 55 Länder ratifizieren, die zusammen für mindestens 55 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind.

Da China und die USA angekündigt haben, den Vertrag schnell zu ratifizieren, wäre die zweite der Bedingungen schnell erfüllt – so schreibt es zumindest die Süddeutsche Zeitung. Bei aller Freundschaft: Ganz so einfach ist es nicht. Neben den beiden Klima-Supermächten müssten noch zum Beispiel die sechs größten EU-Länder und Indien ratifizieren (gemäß 2014er-Daten des CDIAC). Es könnte aber, angesichts der Euphorie nach dem Abschluss von Paris, tatsächlich schnell gehen.

Außerdem ist aber in den USA umstritten, wie dort der Prozess der Ratifikation laufen soll. Die Regierung erklärt den Vertrag für nicht rechtlich bindend, darum müsse der Senat nicht darüber befinden. Dort würde Barack Obama wohl auch schwerlich eine Mehrheit finden. So schreibt es zum Beispiel die Washington Post. Das ist natürlich ein Trick, aber einer mit einem schalen Nebengeschmack: Die Regierung erklärt ja offiziell, dass sie sich nicht an die Vereinbarung halten muss (die ja ohnehin vor allem auf Freiwilligkeit setzt). Jeder Nachfolger des scheidenden Präsidenten, auch die klimaskeptischen Republikaner (oder was dieser Tage für Politiker dieser Partei durchgeht), wäre aber zumindest einige Jahre an den Vertrag gebunden, wenn er vor ihrem oder seinem Amtsantritt Rechtskraft erlangt.

Dass diese Auslegung, welchen Status der Vertrag für die USA hätte, aber rechtlich umstritten ist, wissen auch die W-Post und behaupten natürlich die rechte Presse und die entsprechenden Vordenker der Klimawandelleugner. Obama aber scheint mit der beschleunigten Anerkennung sicherstellen zu wollen, dass der Paris-Vertrag überhaupt Gültigkeit erlangt. Das Signal, wenn ein weiteres Mal die USA einen Vertrag zwar unterschreiben, aber nicht ratifizieren, wäre auch fatal.

Paris Morning Music_cChristineAceboAm Morgen wird der Gehsteig in vielen Pariser Straßen geschrubbt. Aufnahme mit freundlicher Genehmigung von Christine Acebo, Ashford/CT. Foto: Flickr

Vielleicht ist dieser Tag daher auch der richtige, neben dem großen Beitrag von Paris zum Klima auch einen kleinen zu würdigen. Hier geht es nicht um das Weltklima, aber immerhin um das Stadtklima. Wer schon einmal morgens in der französischen Hauptstadt  unterwegs war, um irgendwo über Café Au Lait und Croissant den Tag zu planen, der hat bestimmt gesehen, was die Einheimischen mit ihren Gehsteigen machen: Sie wässern und fegen sie (und manche Besucher fotografieren das sogar, danke an die genannten Flickr-User). Tatsächlich ist das mehr als die Privatinitiative von einzelnen Bistro-Besitzern oder Concierges, es steht ein System dahinter. An vielen der Straßen und Boulevards läuft Wasser entlang. Und das hilft tatsächlich nicht nur der Sauberkeit, und erfreut die Tauben, sondern dämpft den sogenannten Wärmeinsel-Effekt, wonach Städte viel heißer werden als das umgebende Land.

ParisStreetCleaning_cJayt74Auch Profis wässern die Straßen. Foto: Flickr/Jamie Taylor

Ein Team um Martin Hendel von der Sorbonne hat nachgemessen: Die Lufttemperatur geht um bis zu 0,8 Grad zurück. Das bringt wahrscheinlich an einem heißen Nachmittag noch keine wirkliche Erleichterung, aber jedes bisschen hilft. Die Forscher haben echte Experimente gemacht und benachbarte Straßen-Abschnitte verglichen. Zum einen in der Rue du Louvre im Stadtzentrum, wo ein Sprühwagen der Stadtreinigung alle 30 Minuten durch einen Abschnitt fuhr und durch einen anderen eben nicht (zwischen 11:30 Uhr und 14 Uhr hatten die Angestellten offenbar Mittagspause, da sprühten sie nicht, aber sie waren immerhin zurück, als die Sonne in die Straßenschlucht fiel). Zum anderen die ungefähr parallel verlaufenden Rue Lesage und Rue Rampeneau in Belleville im 20. Arrondissement. Hier lag – nur in ersterer – ein Schlauch mit Sprühventilen im Rinnstein.

Die Autoren haben darüber immerhin ein 16-Seiten-Paper veröffentlicht (Urban Climate, doi: 10.1016/j.uclim.2016.02.003). Um fair zu sein: Es geht ihnen dabei auch um die korrekte statistische Auswertung der Befunde. Und manchmal muss man eben auch einfach mal Dinge beweisen, die man schon intuitiv als richtig erkannt hat. Oder – siehe den Vertrag – Dinge tun, auf die anhand überwältigender Belege schon die halbe Welt gewartet hat.

ParisTaubenIMG_3594Eine Badewanne für Tauben. Foto: Christopher Schrader

Update: Im Lauf der Zeremonie und danach habe ich einige der Formulierungen von „wird erwartet“ hin zu „ist geschehen“ angepasst.

Wie die Bäume leichter atmen

Image-2-RespirationFrühling im Winter: Wärmestrahler hielten die Flecken im Wald um gut drei Grad Celsius wärmer als die Umgebung. Foto: William Eddy

Hinweis: Dieser Text ist bereits bei Spektrum.de erschienen.

Hamburg, den 2.4.2016

Die Bäumchen wussten natürlich nicht, wie gut sie es eigentlich hatten. Während sonst überall noch Schnee lag, leuchteten die Setzlinge mit ihren flockenfreien Blättern bereits in vielen Grüntönen um die Wette. Acht Wärmestrahler an einem Gerüst über ihnen versetzten die Pflanzen sozusagen in die Zukunft – in eine Zeit, in der sich die Temperaturen wegen des Klimawandels permanent um gut drei Grad Celsius erhöht haben. Darum mussten die Bäumchen aber als Ausgleich für den milden Winter im Sommer stärker unter Hitze leiden als die Artgenossen im restlichen Wald.

Solche Wärmestrahler haben Forscher um Peter Reich von der University of Minnesota an insgesamt 24 Arealen in den Wäldern ihres Bundesstaats installiert. Drei bis fünf Jahre wuchsen Setzlinge von vier Nadel- und sechs Laubbaumarten unter einer solchen Wärmeglocke; Elektronik hielt den Temperaturunterschied zur Umgebung stets auf 3,4 Grad Celsius. Sonst aber hatten sie die gleichen Bedingungen wie der Rest des Waldes, genauso viel Regen, Wind, Insekten oder andere Tiere. Immer wieder haben die Forscher dann einzelne Blätter abgeschnitten und deren Stoffwechsel im Labor genau vermessen.

Nach diesem Langzeitexperiment ist Reich sicher: „Bäume passen sich besser an den Klimawandel an, als man bisher erwartet hat. Ihre Respiration dürfte auf Dauer nur um fünf Prozent zunehmen, nicht um 23 Prozent, wie kurzzeitige Laborexperimente nahegelegt hatten.“ Respiration oder Pflanzenatmung, das ist die weniger bekannte Seite des pflanzlichen Stoffwechsels. Das Grünzeug nimmt einerseits tagsüber Kohlendioxid für die Fotosynthese auf. Andererseits geben lebende Bäume, Büsche und Blumen es über ihre Wurzeln und nachts über die Blätter ab, und wenn sie nach dem Absterben verrotten, setzen auch die dafür verantwortlichen Bakterien das Gas frei.

Es geht um gewaltige Mengen

Ähnliche Messungen gab es bisher schon aus dem so genannten Fluxnet-System. Das ist ein globales Netzwerk von Messstationen in Wäldern und Naturgebieten, die den Gasaustausch der Bäume über die Jahreszeiten beobachten, allerdings ohne die Bedingungen zu manipulieren. Dabei hatten Forscher vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena schon vor einigen Jahren festgestellt, dass die Pflanzenatmung bei Temperaturschwankungen weniger wächst als gedacht. Für eine Erwärmung um zehn Grad Celsius hatte man eine Verdopplung der CO2-Freisetzung erwartet, gemessen wurde aber nur eine Zunahme um 40 Prozent.

Hochgerechnet von der Pflanze auf die gesamte Landfläche geht es um gewaltige Mengen. Laut Weltklimarat IPCC nimmt die Biosphäre pro Jahr 123 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in Form von Kohlendioxid auf und setzt 119 Milliarden Tonnen durch Respiration und Feuer wieder frei. Pflanzen tragen dazu etwa die Hälfte bei. Zum Vergleich: Die Menschheit emittiert pro Jahr knapp zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoff durch das Verbrennen fossiler Energierohstoffe. Ein Drittel davon nimmt zurzeit die Biosphäre auf. Laut Fluxnet sind es 157 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter und Jahr.

Die Wissenschaft fragt sich jedoch, ob die Biosphäre nicht eines Tages von einer Senke zu einer Quelle von Kohlenstoff wird. Zurzeit ist das noch nicht der Fall, die Nettoaufnahme von Kohlenstoff ist über die vergangenen Jahrzehnte sogar gewachsen. Doch die Verhältnisse könnten sich umkehren, wenn die Fotosynthese stagniert und die Respiration anwächst, wie die Erwärmungsexperimente zeigen. Die globalen Klimamodelle, mit denen die Temperaturen der Welt bis zum Ende des Jahrhunderts simuliert werden, enthalten darum Module für den Kohlenstoffkreislauf.

Gerade bei dieser Frage spielt die Anpassung der Pflanzen an höhere Temperaturen eine wichtige Rolle, sagt Julia Pongratz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, wo eines der vom IPCC verwendeten Klimamodelle gerechnet wird. Schon heute verwendeten etliche Klimamodelle eine Abschätzung der Akklimatisierung der Pflanzenrespiration; sie sehen die Biosphäre auch in Zukunft als Kohlenstoffsenke. „Diese Einschätzung wird durch die neuen Erkenntnisse noch bestärkt, denn die Respiration war bislang anscheinend eher überschätzt, die Senke also unterschätzt.“ Gerade deswegen seien Reichs Messungen aus Minnesota für die Modellierer sehr nützlich. „Die meisten Daten über die Veränderungen der Atmung stammen bislang aus kontrollierten Laborexperimenten; viel relevanter für die Modellierung sind aber echte Feldstudien wie die hier vorliegende, die natürliche Witterungsverhältnisse abbilden und die Pflanzen nicht isolieren“, sagt Pongratz. Nun fehlten noch ähnliche Daten für die tropischen Wälder, wo bisher die größten Kohlenstoffsenken liegen.