Hamburg, 5. Juli 2017
Soziale Medien in 25 Kategorien – fast alle sind auch für die Wissenschaft und Wissenschaftler relevant. Quelle: Ethority, Version 6
Die deutschen Akademien der Wissenschaften legen sich mit Facebook, Twitter und anderen sozialen Netzwerken an. Sie müssten „verstärkt unter publizistischen/medien-rechtlichen Gesichtspunkten reguliert werden und nicht, wie es bisher überwiegend der Fall ist, primär unter ökonomischen und kartellrechtlichen Aspekten“, fordern die Forscher. Eine 15-köpfige Arbeitsgruppe von Leopoldina, acatech und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften hat in Berlin die Stellungnahme „Social Media und digitale Wissenschaftskommunikation“ vorgestellt und mit Experten diskutiert.
Die Gruppe sehe „die freie Informationsverbreitung gefährdet“, sagte Holger Wormer von der Universität Dortmund, einer der Sprecher: „Wer anderen als Medium eine erhebliche Reichweite zur Verfügung stellt, muss für ein Minimum an Redaktion sorgen“ – dazu seien zum Beispiel auch Tageszeitungen auf ihren Leserbriefseiten verpflichtet.
Dass sozialen Medien gefälschte Meldungen, populistische Parolen und gezielte Diffamierungen verbreiten, ist kein originäres Problem der Wissenschaft. Den Verheißungen der Netzwerke auf bessere, schnellere und direkte Kommunikation folgte stets Enttäuschung, zeigt die Akademien-Arbeitsgruppe für die Gesellschaft als Ganze und für den eigenen Bereich: Freiheit, Gleichheit, Vielfalt und Transparenz zum Beispiel hätten sich eben nicht verbessert. Im öffentlichen Diskurs sei eine „Verflachung und Verrohung“ zu bemerken, die Güte der verbreiteten Information nehme ab: „Es entfällt oft die Sicherung der Qualität“, heißt es in dem 72-seitigen Papier.
„Ein Grundton, als ob wir noch eine Ausstiegsoption hätten“
Das wird gerade für die Wissenschaft zum Problem, wenn sich etwa Falschmeldungen über Klimawandel oder Impfungen im Netz verbreiten. Der Staat müsse daher mit Auflagen für die Konzerne „sowohl für die Garantie der allgemeinen Informationsversorgung als auch speziell für die Versorgung der Öffentlichkeit mit Informationen über die Wissenschaft“ sorgen, heißt es in der Stellungnahme.
Dem stimmte im Prinzip auch Staatssekretär Gerd Billen vom Bundesjustizministerium zu: „Wir haben nicht unbedingt den Anspruch, dass privatwirtschaftliche Unternehmen die Demokratie fördern, aber schon, dass sie ihr nicht schaden.“ Etliche andere Politiker, etwa CDU-Fraktionschef Volker Kauder und Bundestagspräsident Norbert Lammert, hatten bereits gefordert, soziale Medien stärker zu regulieren. Das zügige Löschen rechtswidriger Inhalte als ersten Schritt soll nun das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erzwingen, das der Bundestag in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause beschlossen hat.
In der deutschsprachigen Wissenschaftskommunikation herrschten aber noch keine Zustände wie etwa in der Auseinandersetzung etwa über die Flüchtlingspolitik, sagte der Social-Media-Manager der Helmholtz-Gemeinschaft, Henning Krause. „Dagegen ist das wie eine Blümchenwiese.“ Und er kritisierte an der Stellungnahme den „Grundton, als ob wir noch eine Ausstiegsoption hätten“. Wie andere Experten warb er bei der Präsentation in Berlin dafür, neben den Risiken auch die Chancen der sozialen Medien zu sehen. Auch etliche Kommentare im Netz (eine gute Übersicht gibt es bei Marcus Anhäuser) bescheinigen der Stellungnahme, ihr Thema eher verfehlt zu haben. „Bei den zwei wichtigsten Empfehlungen an die Wissenschaft eineinhalb vertane Chancen“, schrieb Reiner Korbmann auf seinem Blog „Wissenschaft kommuniziert„.
Das Papier der Akademien enthält insgesamt zwölf Empfehlungen. Etliche betreffen die Nutzung sozialer Medien durch Wissenschaftsorganisationen und Forscher selbst. So sollen zum Beispiel keine falschen Anreize gesetzt werden, so dass Wissenschaftler und Pressestellen von Instituten ihren Erfolg nach Klicks und Likes messen. Ein Schwerpunkt ist aber auch die Förderung des Journalismus, speziell des Wissenschaftsjournalismus. Er wirke, so die Stellungnahme, bisher als „neutraler Beobachter, der es dem Rezipienten zuallererst erlaubt, sich aufgrund einer möglichst neutralen Darstellung ein eigenständiges Urteil zu bilden“.
Eine zentrale Institution für die Wahrheit?
Viele Medienunternehmen stecken aber in der Krise, weil ihre Einnahmequellen auch wegen der Kostenlos-Praktiken im Internet wegbrechen. Hier regt die Arbeitsgruppe an, über eine zentrale „redaktionell unabhängige bundesweite Wissenschaftskommunikations- und Informationsplattform“ nachzudenken. Sie solle Berichte über Forschungsergebnisse „aggregieren, redaktionell bewerten und hinsichtlich ihrer Urheberschaft transparent machen“, aber frei vom Einfluss des Staates und der Wissenschaftsorganisationen arbeiten können.
Eine solche „Deutschland-Redaktion stieß bei etlichen Experten auf Widerspruch. Solle das etwa eine „zentrale Institution der Wahrheit“ werden, fragte Markus Weißkopf von der Organisation „Wissenschaft im Dialog“ polemisch. Eigentlich sei das Ideal doch pluralistische Berichterstattung. Franziska Badenschier vom „Science Media Center“ in Köln mahnte, man solle doch lieber die noch arbeitenden Journalisten stärken als eine solche Institution zu schaffen. Und die freie Journalistin Tanja Krämer, Mitbegründerin von Riff-Reporter, warnte: „Da verschwimmen die Grenzen von unabhängigem Journalismus und Wissenschaftskommunikation.“ Letzteres ist für Journalisten ein Synonym für interessengeleitete Wissenschafts-PR. Die Akademien-Arbeitsgruppe sieht darin freilich einen neutralen Oberbegriff. Holger Wormer erwiderte darum: „Das Ziel, die Gesellschaft mit zuverlässigen Informationen zu versorgen, ist gefährdet. Darum ist es fast schon egal, mit welcher Koalition von Wissenschaftskommunikation und Journalisten man das macht.“
Insgesamt könne die Wissenschaft durchaus mutiger in ihren Ideen und Forderungen sein, fasste am Ende Gerd Billen zusammen. Er präsentierte einige Einfälle, wobei er betonte, das sei nicht die Meinung der Regierung, sondern seine private. Wie in der Umweltpolitik müsse man „Kosten internalisieren“. Dieses Stichwort wird zum Beispiel verwendet, wenn die Betreiber von Kohlekraftwerken für das bisher kostenfreie Entsorgen von Kohlendioxid eine Abgabe bezahlen müssen. Wer „geistige Umweltverschmutzung“ betreibe, den könne man zum Beispiel verpflichten, auf eigene Rechnung professionelle journalistische Inhalte in seinem Netzwerk zu verbreiten. Und analog zur Initiative etlicher Europa-Politiker, jedem 18-jährigen ein Interrail-Ticket für eine Reise über den Kontinent zu schenken, schlug Billen vor, jungen Leuten Zeitungsabonnements zu bezahlen. Das würde gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Medienkompetenz der jungen Leser stärken und die Journalisten fördern.
Hinweis: Dieser Text ist zuerst auf der Plattform Riff-Reporter erschienen.