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Vorbild Schweiz

1999-Zürich – 03Münsterbrücke über die Limmat in Zürich, Foto: C. Schrader

26.10.2015

In fünf Wochen beginnt in Paris der 21. Klimagipfel der Vereinten Nationen. Die Delegationen aus Europa, China und den USA werden dort vermutlich mit breiter Brust auftreten, und davon schwärmen, was sie alles für den Klimaschutz tun wollen. Insgesamt 154 Staaten haben im Vorfeld der Konferenz ihre nationalen oder regionalen Pläne eingereicht (weil die EU sich intern abgestimmt hat, sind bisher 127 solcher INDCs registriert worden). Bei Fachleuten löst das noch keine Euphorie aus: „Wenn man sich anschaut, was die Staaten der Welt bislang für Paris auf den Tisch gelegt haben, so ist klar: Es reicht nicht, um die globale Erwärmung unter der international anerkannten Grenze von zwei Grad Celsius zu halten“, sagt Sebastian Oberthür von der Freien Universität Brüssel. Auch ein Konsortium von 16 anderen Forschungsinstituten hatte vergangene Woche die Zahlen im sogenannten Miles-Report als mangelhaft bewertet.

Das einzige Land, das wirklich stolz auf sich sein kann, ist die Schweiz. Nach einer neuen Berechnung tut die Eidgenossenschaft nicht nur mehr als genug gemessen an ihrer Größe; sie könnte auch als Vorbild alle anderen Nationen mitziehen, wenn sie nicht so klein wäre, schreiben Malte Meinshausen von der University of Melbourne, Sebastian Oberthür und weitere acht Kollegen in Nature Climate Change (online; doi: 10.1038/nclimate2826). „Die Schweiz hat in ihrem INDC eine 50-prozentige Reduktion (der Treibhausgas-Emissionen) bis 2030 versprochen. Das macht sie zum einzigen Staat, der eine Diversitäts-bewusste Führungsrolle übernimmt“, bescheinigen die Forscher dem Land.

Um die Argumentation und den sperrigen Begriff „Diversitäts-bewusste Führungsrolle“ zu verstehen, muss man etwas ausholen. Der Klimagipfel in Paris versucht mit einer anderen Strategie zu einem globalen Abkommen zu gelangen als das Treffen 2009 in Kopenhagen. Damals sollten verbindliche Quoten beschlossen werden, um die alle Länder ihre Emissionen senken sollten. Aber der Verteilungsschlüssel war höchst umstritten. Darum haben die Staaten für Paris nur freiwillige Zusagen gemacht: INDC heißt „Intended Nationally Determined Contribution“, also „beabsichtigter, national bestimmter Beitrag“. Niemand soll in Paris zu irgendetwas gezwungen oder gar überstimmt werden.

Das ist nicht nur pragmatisch, um überhaupt diesmal ein globales Abkommen zu erzielen, sondern übertüncht auch einen fundamentalen Widerspruch im Verständnis von Gerechtigkeit. Die Industriestaaten stoßen schließlich ganz allgemein gesprochen deutlich mehr Treibhausgase pro Einwohner aus als Schwellen- oder Entwicklungsländer. Wenn also irgendwann in der Zukunft für alle Menschen die gleiche Quote gelten soll – früher war mal die Rede von zwei Tonnen Kohlendioxid pro Person und Jahr -, dann bleibt immer noch die Frage, wie man dort hinkommt.

Es gibt zwei Vorschläge. Erste Möglichkeit: Alle Staaten nähern sich von ihrem augenblicklichen Niveau langsam diesem Ziel an. Die Deutschen reduzieren also ihre Emissionen von gut neun auf zwei Tonnen, während die Inder mit zurzeit 1,7 Tonnen noch Spielraum haben und Vietnam mit zwei Tonnen pro Person und Jahr auf der Stelle treten muss. Das wäre eine Methode, die man als Verteilungsgerechtigkeit bezeichnen könnte.

Zweite Möglichkeit: Das Verfahren der Zuweisung von Emissionen korrigiert die Geschichte. Dann würde die Staatengemeinschaft eine Zahl festlegen, wie viele Tonnen für jeden Menschen ein Land – seit sagen wir mal 1950 – ausgestoßen haben darf und in diesem Jahrhundert weiter ausstoßen darf. Das erlaubte ärmeren Staaten höhere Mengen und eine nachholende wirtschaftliche Entwicklung nach den Mustern der Industriestaaten, also zum Beispiel mit Kohlekraftwerken, während die reicheren Nationen schneller und deutlich stärker einsparen müssten.

Über diese Frage war zwischen den Nationen keine Einigkeit zu erzielen, und das ist vermutlich auch für die Zukunft utopisch. Und so orientieren sich die reicheren Staaten bei ihren INDCs in der Regel an der Verteilungsgerechtigkeit, die ärmeren an der korrigierenden Gerechtigkeit. Die Reichen wollen die Vergangenheit ignorieren, die Armen wollen sie berücksichtigt wissen. Das führt dazu, dass jedes Land seine Vorteile ausrechnet und sich die jeweils höhere Emissionsmenge bzw die niedrigere Reduktionsquote aussucht und nach Paris meldet. Unter anderem darum reicht die Summe der Versprechungen nicht aus.

Der Gedanke des Meinshausen-Teams war nun folgender: Dieser Mechanismus ist eigentlich einfach zu durchschauen und im Prinzip auch einfach zu korrigieren. Es muss sich ein Land A dieser Diversität im Gerechtigkeitsbegriff bewusst werden, diese tolerieren und dann auf dieser Basis den eigenen Beitrag neu kalkulieren. Und dabei eine Führungsrolle einnehmen. Land A könne sich dabei darauf verlassen, so behaupten die Forscher, dass seine Freunde und Handelspartner B bis Z seinem Vorbild folgen, und den gleichen Ehrgeiz an den Tag legen, wenn es mal jemand vorgemacht hat. Schließlich möchten die Länder vor allem nicht ins Hintertreffen geraten und zum Beispiel der eigenen Industrie Vorgaben machen, die Konkurrenz-Unternehmen woanders nicht erfüllen müssen. Sie wollen also Nachteile gegenüber anderen Nationen vermeiden, nicht unbedingt Vorteile erzielen. Ob man sich in der internationalen Politik allerdings darauf verlassen kann, ist sicherlich Stoff einer sehr langen Debatte.

 

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Was passieren würde, wenn die USA sich als Vorbild für die Welt verstünde, illustriert das Forscherteam mit diesem bunten Tortendiagramm. Teil a ist die Legende, welche Farbe für welches Land oder Region steht. In Teil b sind die Beiträge aller Staaten berechnet, die sich an dem momentanen Reduktionsversprechen der USA orientieren. Es führt zu einem weiteren Anstieg der Treibhausgas-Emissionen bis 2030 von sechs Prozent. Sagt Amerika hingegen eine stärkere Senkung des Ausstoßes zu, dann folgen die restlichen Staaten, so dass am Ende eine tatsächlich das Klimaziel erreicht werden kann.
Quelle: Meinshausen et al: National post-2020 greenhouse gas targets and diversity-aware leadership, Nature Climate Change, online, doi: 10.1038/nclimate2826.

Malte Meinshausen als Sprecher der Forschungsteams argumentiert nun: „Wenn die Europäische Union oder die USA als Pionier der weltweiten Klimapolitik handeln würden, so könnte die Blockade der Verhandlungen über eine gerechte Lastenteilung aufgebrochen werden.“ Leicht wäre das allerdings nicht. Die EU und die USA müssten ihre Reduktionen praktisch verdoppeln. Amerika hat angekündigt, bis 2025 um 26 bis 28 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als 2005. Um andere Nationen als Vorbild mitzuziehen, müsste das Land seine Vorgabe auf 54 Prozent erhöhen, haben die Forscher errechnet. Die EU wiederum hat beschlossen, bis 2030 um 40 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als 1990; nach der Nature Climate Change-Studie müssten es minus 67 Prozent sein. Und China, das bisher nur versprochen hat, seine Emissionen ab 2030 nicht mehr steigen zu lassen, müsste als Vorbild dann schon den Ausstoß um 32 Prozent unter die Werte von 2010 gesenkt haben. Das hält das Forschungsteam für komplett unrealistisch.

Was in Paris auf dem Tisch liegt, genügt also auch in dieser Hinsicht noch nicht. Nur bei der Schweiz: Sie müsste als Vorbild ihre Emissionen bis 2030 um 44 Prozent senken, versprochen hat sie aber bereits 50 Prozent.

Man kann das für eine optimistische Botschaft halten; die Autoren der Studie tun es jedenfalls. „Diese Idee ist jedenfalls weniger utopisch, als sich auf eine universelle Verteilungsmethode zu einigen“, sagt Louise Jeffreys vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Aber sie stützt sich auf die Annahme, dass die wichtigsten Wirtschaftsmächte auf die eine oder andere Weise mitmachen.“

Je nach politischer Grundeinstellung kann man aber auch die Aussage des vergangene Woche veröffentlichten Miles-Reports für realistischer halten. Die 16 Institute unter Federführung des IDDRI in Frankreich (Institut du développement durable et des relations internationales) bezeichnen die bisher eingereichten INDCs immerhin als tragfähige Brücke in eine Zukunft, in der sich das bereits international vereinbarte Klimaziel erreichen lässt. Die nationalen Pläne würden einen breiten Umbau der Energieversorgung anstoßen, stellen die Wissenschaftler fest. „Die Beurteilung der INDCs sollte sich nach ihrem Potenzial richten, die umfassende Dekarbonisierung des Energiesektors auf den Weg zu bringen“, sagt die Projektleiterin Teresa Ribera. „Der Bericht macht deutlich, dass diese Transformation eingeleitet wird, allerdings zu langsam.“ In das Abkommen von Paris solle daher gleich einen Mechanismus eingebaut werden, die nationalen Pläne in Zukunft zu verschärfen.

Christopher Schrader, 26. Oktober 2015

Ergänzung, 30.10.2015: Malte Meinshausen hat neben seiner Stelle in Melbourne auch seine Verbindung zum PIK behalten.

 

Der Anfang und eine Erklärung

19.10.2015

Laufendes Gut

Was ist denn das für ein Titel für einen Blog – Laufendes Gut? Nun, der Begriff kommt aus der Schifffahrt und bezeichnet alles Tauwerk, alle Drahtseile oder Ketten, die nicht an beiden Enden befestigt sind und sich bewegen. Im Gegensatz zum stehenden Gut, das vor allem der Stabilität des Schiffs dient – wie Stage und Wanten, die einen Mast aufrecht halten –, ist das laufende Gut dazu da, ein Schiff zu steuern und anzutreiben. Auf dem Segelschiff, dem umweltfreundlichsten Transportmittel zur See, gehören zum laufenden Gut unter anderem:
• die Fallen, um Segel zu setzen,
• die Schoten, mit denen die Besatzung die Stellung der Segel reguliert,
• verschiedene Strecker und Reffleinen oder -taljen, um die Segelfläche zu trimmen und bei stärkerem Wind zu verkleinern,
• Brassen, mit den auf einem Windjammer die Rahen mit den großen rechteckigen Segeln seitlich bewegt und fixiert werden,
• Dirke, die einen Baum hochhalten,
• und wenn man es etwas weiter fasst (Segler werden jetzt den Kopf schütteln) auch die Ankerkette und Festmachleinen, die für eine sichere Abfahrt und Ankunft nötig sind.

Ohne laufendes Gut ist also das schönste Segelschiff nutzlos, weil man damit nicht dorthin kommt, wo man hinkommen möchte. Und das erscheint mir eine passende Metapher für die Klimaforschung im weitesten Sinne zu sein. Sie ist längst dem Stadium entwachsen, wo sie allein dokumentierte, welche Veränderungen der Anstieg der Treibhausgas-Emissionen in der Atmosphäre oder im Ozean bewirkt, was die globale Erwärmung für Mensch, Tier und Pflanze bedeutet. Die Basis dieses Wissens ist breit, und der Einfluss der Menschheit inzwischen unbestreitbar.

Spannender und mehr der offenen Diskussion unterworfen sind die Fragen, wie die Bewohner dieses Planeten die Auswüchse dieser Entwicklung mindern und sich den unvermeidbaren Veränderungen anpassen. Hier trifft die physikalische, biologische oder ökonomische Forschung auf Politik und Moral. Und dann gibt es eben keine Ergebnisse mit naturwissenschaftlicher Präzision, sondern eine Reihe von Optionen, die zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden müssen (so argumentieren zum Beispiel der britische Forscher Mike Hulme und Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (hier und hier)). Genau wie auf einem Segelschiff die Besatzung entscheiden muss, wie sie an ihr Ziel kommt, wenn der Wind nicht gerade optimal schräg von hinten („raumschots“) kommt. Und in der Klimadebatte weht einem der Wind ja eher direkt ins Gesicht.

Im Prinzip könnten wir als Menschheit uns ja auf den Standpunkt stellen, dass wir einfach dahin segeln, wohin der Wind uns treibt. Außerhalb der Metapher, die ich ja auch nicht überstrapazieren will, hieße das, die Risiken zu akzeptieren und es gleichgültig hinzunehmen, wenn arme Bauern in Afrika wegen veränderter Regenmuster ihre Existenzgrundlage verlieren. Oder Bewohner von Südsee-Inseln eine neue Heimat brauchen, weil die alte überspült wird oder zumindest alle Wasserquellen vom steigenden Meeresspiegel versalzt werden. Meine Position ist das nicht, um es klar zu sagen, und auch nicht die Linie, die Staaten bei Verhandlungen über einen globalen Klimavertrag wenigstens offiziell vertreten. Weil der Klimawandel die Armut der Menschen in vielen Entwicklungsländern enorm verschärfen wird, muss eine Strategie gegen die globale Veränderung auch gleichzeitig die soziale und ökonomische Situation von Milliarden Menschen mitdenken. Im besten Fall löst die Menschheit die Probleme Klimawandel und Armut gleichzeitig.

Klimaforschung kann uns auf dieser Reise in die Zukunft die Mittel in die Hand geben, den richtigen Weg zu finden. Wir werden ständig über den Kurs diskutieren und ihn womöglich anpassen müssen. Darüber soll dieser Blog berichten. Manche Beiträge werden einfache Meldungen sein, andere eher Einordnungen oder Kommentare. Als gelernter Journalist werde ich mich um eine Trennung von Nachricht und Meinung bemühen und es kenntlich machen, wenn ich etwas bewerte anstatt nur zu berichten. Ob das dann auch laufend gut ist, liegt im Urteil meiner Leser.

Hamburg, im Oktober 2015, Christopher Schrader

PS: Ein Detail zum laufenden Gut noch, das ich mir nicht verkneifen kann. Es heißt im Englischen running rigging und Wikipedia berichtet, dass es im Gegensatz zum stehenden Gut in der Vergangenheit nicht mit Teer zum Schutz gegen die Elemente bestrichen wurde, weil das Tauwerk ja flexibel bleiben sollte und man Umlenkrollen und Taljen (Flaschenzüge) nicht verkleben wollte. Teer ist ein Produkt aus Erdöl oder Kohle, und laufendes Gut war frei davon. Was will man mehr?