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Schonzeit für Riffe

A Titan villager navigates a traditional melanesian outrigger over shallow corals that flank a small island in the Manus Province of Papua New Guinea. Mystery shrouds the densely vegetated island, as legend amongst the indigenous Mbuke people maintains that it is home to a "dinosaur" that has never been seen on any other island in the Archipeligo.

Auf einem traditionellen Ausleger-Boot gleitet ein Fischer in Papua-Neuguinea über
Korallen. Die Insel vor ihm beherbergt nach lokalen Legenden einen Dinosaurier. Solche Tabus können helfen, Ökosystem trotz Befischung gesund zu halten.
Foto: Tane Sinclair-Taylor

Hamburg, 29. Juni 2016

Vorbemerkung: Schon wegen der Bilder wollte ich diesen Blog-Beitrag unbedingt machen. Er ist aber auch inhaltlich  spannend, weil er zeigt, wie Menschen das Schicksal der Riffe mitbestimmen – und zwar nicht nur die anonymen Massen, also wir alle, die überall auf der Welt Treibhausgase in die Atmosphäre blasen und so zur Erwärmung und Versauerung der Ozeane beitragen. Sondern ganz besonders die Menschen, die in der Nähe der Riffe leben und entweder in Einklang mit ihnen oder eben nicht.

Wenn die Fische zu scheu wurden, gaben ihnen die Dorf-Ältesten eine Auszeit. In der Gemeinschaft der Muluk, wohnhaft an der Ostküste der Insel Karkar in Papua-Neuguinea, stoppten sie die Fischerei über einigen Dutzend Hektar Korallenriffen, wenn die Fänge zu stark zurück gingen. Nach ein oder zwei Jahren, so erzählte man sich in den Dörfern, würden die Fische wieder zahm sein und die Speerfischer nahe genug an sich heran lassen.

Diese Geschichte hat Joshua Cinner von der James Cook University in Townsville/Australien schon 2006 aufgeschrieben. Aber jetzt hat er sie mit vielen anderen Beispielen noch einmal verwendet, um zu erklären, warum es manchen Riffen besser geht als erwartet. Mit einem großen, internationalen Team vom Kollegen hat der Australier in Nature mehr als 2500 Riffe in 46 Ländern und Territorien untersucht. Dabei sind ihnen neben Karkar noch 14 weitere Beispiele aufgefallen, wo die Gemeinschaft von Korallen und Fischen deutlich gesünder und vielfältiger war als man annehmen konnte. Neben diesen „bright spots“ aber gab es auch 35 „dark spots“, wo der schlechte Zustand des Ökosystems nicht recht durch bekannte Einflussgrößen zu erklären war.

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Eine Übersicht, wo die „bright“ und „dark spots“ liegen und wie die Forscher sie definiert haben. Quelle: Cinner et al, Fig. 2, Nature  doi:10.1038/nature18607

Die Wissenschaftler haben über den Riffen die gesamte Biomasse erfasst und mit 18 bekannten Indikatoren verglichen, von denen sie abhängen können. Dazu gehören Faktoren wie die Größe und Umgebung des Riffs, aber auch die Nähe zu möglichen Abnehmern der gefangenen Fische, und die Fragen, ob das Riff geschützt ist und ein solcher Status auch beachtet wird, wie schnell die Bevölkerung der benachbarten Orte wächst und wie viele Touristen die Gegend besuchen. Mit diesen Variablen ließ sich die Biomasse für 2450 der Riffe einigermaßen erklären, aber die 50 „bright“ und „dark spots“ zeigten deutlich andere Werte als vorherberechnet (um mehr als zwei Standardabweichungen höher oder niedriger). „Die bright spots sind nicht unbedingt unberührt“, sagt Cinner, „sie haben nur mehr Fische als sie sollten, wenn man den Druck bedenkt, unter dem sie stehen.“ Tatsächlich liegen zehn der 15 positiven Beispiel in bewohnten Regionen und acht werden aktiv befischt.

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A villager returns to his canoe with a unicornfish (Naso hexacanthus) he has speared using a handmade speargun. Spearfishing is popular in the Manus Province of Papua New Guinea as it is highly selective.

Speerfischen ist zwar für die einzelnen Fische genau so tödliche wie Netze. Doch für Ökosysteme als Ganzes ist die Methode viel schonender. Bilder aus Papua-Neuguinea. Fotos: Tane Sinclair-Taylor

Auf der Suche nach den Gründen haben die Forscher um Cinner einige weitere Faktoren untersucht und mit vielen Leuten aus  umliegenden Gemeinden gesprochen. So zeigte sich, dass es in etlichen der „bright spots“ lokale Tabus oder Vorschriften ähnlich wie auf Karkar gab. Nicht immer handelte es sich um etwas, das Bürger von Industriestaaten vermutlich als Aberglaube bezeichnen würde, wie die Sage, die die Insel auf dem Foto oben umgibt: Angeblich lebt dort ein Dinosaurier, den man vielleicht besser nicht stört. Etwas nüchterner ist die Aussage der Studie, dass in vielen der 15 Positiv-Beispiel die Anwohner in hohem Maß vom Fischfang abhängen und sich deswegen für die langfristige Erhaltung einsetzen. Hilfreich für die Gesundheit des Ökosystems ist auch die Nähe zu tiefem Wasser, weil es Fischpopulation widerstandsfähiger macht.

Bei den „dark spots“ wirkten sich vor allem der Einsatz von Motorbooten und Netzen negativ aus sowie die Verbreitung von Gefriertruhen, um Fänge vor dem Transport zu lagern.  „Die klassischen technischen Maßnahmen des Fischereimanagements entpuppen sich also als Fallen, die zu Ressourcenübernutzung führen“, sagt Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für marine Tropenökologie in Bremen, der ebenfalls zu Forscherteam gehörte.

Zudem gehörten zu den 35 einige Riffe, die schon Umwelt-Schocks erlebt hatten, sich also von einer Bleiche oder dem Einfall eines Zyklons erholten. Besonders das ist eine schlechte Nachricht, weil die Menge der gestressten Korallen inzwischen deutlich zunimmt. In Australien haben Wissenschaftler gerade dokumentiert, wie schlecht es vielen Teilen des Great Barrier Reef geht (hier und hier). Mehr als 2500 Wissenschaftler und Betroffene wenden sich darum gerade einen offenen Brief an den australischen Premierminister und fordern, die Kohlewirtschaft des Landes einzuschränken und keine neuen Bergwerke mehr zuzulassen. In den USA wiederum
erwartet die Meeresbehörde Noaa ein drittes Jahr mit überhöhten Temperaturen in Folge, die das Bleichen der Korallen auslösen können.

PS: Die Cinner-Studie ist jetzt auch von der Washington Post mit einem Videobeitrag aufgegriffen worden.

 

 

Kabeljau am Ende

imageKabeljau-Fischerei im Nordatlantik. Foto: Gulf of Maine Research Institute

29. Oktober 2015

Wer den Klimawandel unterschätzt, kann offenbar weder Fische noch Fischer retten. Diesem Zweck sollten schließlich die strengen Quoten für den Kabeljau-Fang im Golf von Maine dienen, die 2010 erlassen und zuletzt 2013 erheblich verschärft wurden. Dennoch erholt sich die Population kein bißchen, stellen Forscher eines lokalen Forschungsinstituts fest. Inzwischen ist die Zahl der Fische auf drei bis vier Prozent der Menge gefallen, die eine nachhaltige Fischerei erlauben würde.

Der Grund ist, dass die zuständige Behörde beim Festlegen der Quoten nicht auf die deutliche Erwärmung des Wassers geachtet hatte, stellt das Team um Andrew Pershing von Gulf of Maine Research Institute in Science fest (online, doi: 10.1126/science.aac9819). „Das immer wärmere Wasser hat den Golf immer weniger geeignet für Kabeljau gemacht, und die Reaktion des Managements war zu langsam“, sagt er. Die Quoten waren sehr niedrig und wurden wohl auch eingehalten, lagen aber trotzdem viel zu hoch.

Tatsächlich hat sich die weite Meeresbucht vor dem nordöstlichsten Bundesstaat zuletzt stärker erwärmt als 99,9 Prozent des Wassers aller Ozeane. Schon wenn die Forscher die Temperaturstatistik zwischen 1982 und 2003 betrachten, liegt die Erwärmung dreimal so hoch wie im globalen Durchschnitt, nämlich bei 0,3 Grad Celsius pro Jahrzehnt. Konzentrieren die Wissenschaftler sich auf die Dekade 2004 bis 2013, beträgt die Zunahme sogar 2,3 Grad, vor allen, weil der Zeitraum mit einem kühlen Jahr anfing und mit zwei Rekordjahren endete. 2012 herrschte geradezu eine Hitzewelle im Meer, der Golfstrom mit seinem warmen Wasser verschob sich sehr weit nach Norden. Das Pershing-Team sieht darin eine Folge des zunehmenden Ausstoßes von Treibhausgasen, sprich des Klimawandels.

Eine derartige Betrachtung eines kurzen Zeitabschnittes, dessen Anfang und Ende den Trend auch noch gewaltig steigern, entspricht nicht gerade den Regeln der Wetterstatistik. Für die Kabeljau-Studie ist sie aber gerechtfertigt. Denn gegen Ende der Periode, im Jahr 2010, traten die Fischereiregeln in Kraft, als die Zahl der Fische innerhalb weniger Jahre um vier Fünftel gefallen war. Die Fangquoten haben den Trend aber nicht gestoppt, obwohl sie 2013 um
73 Prozent gesenkt wurden, stellen Pershing und Kollegen fest.

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Während die Temperaturen Golf von Maine immer weiter anstiegen (oben, Abweichung vom Mittelwert in Grad Celsius), ging die Biomasse der fortpflanzungsfähigen Fische drastisch zurück (unten, in Tonnen). Grafik: Lenfest Ocean Program, 2015. Quelle: Pershing et al, Science (online, doi: 10.1126/science.aac9819).

Dabei war der Einfluss der Wärme auf die Fische eigentlich bekannt. Die genauen Ursachen sind allerdings noch ein Rätsel, womöglich bekommen schon Larven und Jungfische in ihrem ersten Sommer Probleme. Auch die Vierjährigen könnten kurz vor der Geschlechtsreife zu wenig Futter finden, weil ihr Energiebedarf im wärmeren Wasser deutlich erhöht ist. Jedenfalls sind im Durchschnitt alle gefangenen Fische zu klein und dünn für ihr Alter gewesen.

Das nicht zu berücksichtigen, zeigen die Forscher auf, hat in Modellrechnungen zu einer ungefähr konstanten Zahl von Fischen geführt und zu falschen Quoten, während in Wirklichkeit die Population abstürzte. Eine Modellrechnung, die den Einfluss der Wassertemperaturen berücksichtigt, hätte deutlich realistischere, niedrigere Zahlen geliefert. „Das hat zu einer frustrierenden Situation geführt und zum Misstrauen zwischen Fischern, Wissenschaftlern und Managern beigetragen“, sagt Pershing.

Selbst wenn die Kabeljau-Fischerei im Golf von Maine nun komplett verboten würde, bräuchte die Fischpopulation angesichts der beobachteten Erwärmung zehn Jahre, um sich zu erholen, zeigt eine Simulationsrechnung. Schon geringe Fangquoten könnten den Zeitraum um weitere acht Jahre verlängern. „Weil der Klimawandel die Arten in Richtung der Pole drängt, müssen Manager solcher Ressourcen zunehmend die Erhaltung der Spezies und den ökonomischen Wert der Fischerei abwägen“, schließen die Forscher. Wer wichtige Größen ignoriert, wird an dieser Aufgabe scheitern.
Christopher Schrader, 29.10.15

P.S.: Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer Freitagsgabe auch über eine aktuelle Studie aus kanadischen Gewässern, wo sich der Kabeljau dank noch strengerer Quoten – und weniger Wärme – langsam erholt.