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Der Klimawandel ist da, da und da

Darfur_cAlbert González Farran-UNDie Situation der Menschen in Darfur ist schon wegen des Bürgerkrieges dort extrem schwierig. Im Jahr 2014 erlebte Ostafrika auch noch besonders hohe Temperaturen und eine Dürre. Foto: UN Photo, Albert González Farran, flickr, creative commons license

6. November 2015

Bis vor kurzem haben Klimaforscher diese Frage gehasst: „Ist das schon der Klimawandel?“ Wenn Wälder brannten, Städte glühten, Felder vertrockneten oder anschwellende Flüsse Dörfer versenkten, dann rief bestimmt jemand an und wollte das wissen. Und meist war dann die Antwort: Es ist unmöglich, für ein einzelnes Extremereignis genau anzugeben, was es ausgelöst hat – oder dass es ohne Klimawandel niemals hätte entstehen können.

Doch inzwischen stellen sich die Wissenschaftler die Frage selbst. Dieser Zweig ihrer Disziplin heißt inzwischen „Attribution“, also Zuordnung. „So wie sich die Wissenschaft der Zuordnung von Ereignissen weiter entwickelt, wird auch unsere Fähigkeit wachsen, den Einfluss von Klimawandel und natürlicher Variation auf einzelne Wetterextreme auseinander zu halten“, sagt Thomas Karl, der bei der US-Behörde für Ozeane und Atmosphäre (Noaa) für Umweltinformation zuständig ist.

Seine Abteilung hat am Donnerstag zum vierten Mal einen Sonderband heraus gegeben, in dem Extremereignisse – diesmal des Jahres 2014 – darauf untersucht werden, ob der menschliche Einfluss auf das Klima etwas damit zu tun hatte (Bulletin of the American Meteorological Society, Bd. 96, Dezember 2015, online). „In all den vier Jahren hat der Bericht gezeigt, dass zum Beispiel extreme Hitze etwas mit den zusätzlichen Treibhausgasen in der Atmosphäre zu tun hat“, sagt Karl. „Wenn es aber um Niederschlägen geht, ist das noch nicht so überzeugend.“

28 Extremereignisse des Jahres 2014 untersuchen die Wissenschaftler in insgesamt 32 Studien. Die Ereignisse reichen von Hurrikanen in Hawaii und Waldbränden in Kalifornien über Dürre in Afrika und Lawinen in Nepal bis zu Starkregen in Neuseeland und dem Meereis der Antarktis. In den 32 Einzelstudien sagen die Forscher neunmal nein, fünfmal vielleicht und 18-mal ja, da gibt es einen Effekt des Klimawandels. Sie beeilen sich indes hinzuzufügen, sie sprächen von „probabilistischem, nicht deterministischem“ Einfluss. Der Klimawandel macht Extremereignisse also erkennbar wahrscheinlicher, aber er ist nicht allein für sie verantwortlich. Und die Wissenschaftler räumen auch ein, dass ihre Auswahl der Fallbeispiele nicht repräsentativ ist. So führt die meteorologische Weltorganisation in ihrem Bericht über 2014 noch Überschwemmungen in Afrika und Südamerika sowie eine Dürre in Zentralamerika auf, die in dem Noaa-Sonderband fehlen.

Geradezu symbolisch ist ein Ereignis, das sich genau in Raum und Zeit fixieren lässt. Es passierte im australischen Brisbane, der Hauptstadt des Bundesstaates Queensland. Dort trafen sich Mitte November 2014 die G20-Staaten zum Gipfel, Politiker wie US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel waren angereist. Die australischen Gastgeber um Premierminister Tony Abbott versuchten zwar, das ihnen missliebige Thema Klimawandel klein zu halten, doch die globale Erwärmung drängte in Gestalt einer Hitzewelle mit Macht auf die Tagesordnung. Am zweiten Gipfeltag erreichten die Temperaturen 39 Grad Celsius; 27 Grad wären an einem solchen Frühlingstag zu erwarten gewesen. Verantwortlich war, wie australische Wissenschaftler jetzt belegen, auch der Klimawandel.

WettExtreme2014CC_BAMS_Fig28.1

Der Einfluss des Klimawandels auf die Hitzewelle beim G20-Gipfel in Brisbane 2014: Schwarz sind historische Beobachtungen, blau Modellrechnungen ohne und rot solche mit Klimawandel. Die tatsächlich gemessenen Temperaturen liegen weit über der normalen Verteilung. Quelle: Andrew King et al, doi: 10.1175/BAMS-D-15-00098.1, im BAMS-Sonderband, Figure 28.1. 

Bei Hitzewellen ist die Beweislage in der Regel besonders klar. In den nun vier Noaa-Berichten, stellt ein Team um Stephanie Herring von der Behörde fest, hätte erst eine von 22 Studien bei Hitzewellen keinen Einfluss des Klimawandels gefunden. Auch diesmal zeigen alle Analysen einen solchen Effekt. Für Brisbane im November 2014 hat die globale Erwärmung die brutale Hitze um 44 Prozent wahrscheinlicher gemacht, rechnet ein Team australischen Klimaforscher vor. Um solche Aussagen zu gewinnen, nutzen die Forscher Klimamodelle, in denen sie die Menge an Treibhausgasen in der Luft frei wählen und den Klimawandel sozusagen abschalten können. Sie vergleichen also die reale Welt mit einer fiktiven. Dabei kommen oft noch deutlich größere Aufschläge auf die Wahrscheinlichkeit als beim Beispiel Brisbane heraus, dass eine Hitzewelle entsteht. Sie werden meist nicht mehr als Prozentzahl ausgedrückt, sondern als Faktor. In anderen Teilstudien schreiben die jeweiligen Autoren, die Spitzentemperaturen in Argentinien im Dezember 2013 sei durch den Klimawandel fünfmal so wahrscheinlich geworden, die Hitze in Nordchina im Sommer 2014 elfmal und die Thermometerausschläge im australischen Herbst 2014 (im Mai) sogar 23-mal so wahrscheinlich. Auch die Rekordwärme in Europa im ganzen Jahr 2014 sei durch den Klimawandel zehnmal so wahrscheinlich geworden wie ohne, besagt eine Studie.

Die Wärme hat womöglich auch in Kalifornien zu einer extremen Saison der Waldbrände geführt. Für 2014 berichtete Cal-Fire von 1000 Bränden mehr als im Fünf-Jahres-Durchschnitt. Und 2015 ging es weiter: Bis Ende Oktober hatte es fast 2000 Feuer mehr gegeben als zur gleichen Zeit ein Jahr zuvor (allerdings sind die Angaben der verbrannten Fläche in den offiziellen Statistiken etwas rätselhaft). Doch obwohl der Zusammenhang klar erscheint, tun sich die Forscher schwer, bei einzelnen Feuern oder sogar einer ganzen Saison den Einfluss des Klimawandels fest zu machen. Sie erwarten jedoch, dass die globale Erwärmung in Zukunft zur weiter steigenden Zahlen der Brände und der betroffenen Waldflächen beitragen wird. „Wenn wir die Tendenz betrachten, zeigen die Daten eindeutig einen Anstieg“, sagte der Leitautor dieser Studie, Jin-Ho Yoon vom Pacific Northwest Laboratory bei Climate Central.

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Feuer im Yosemite-Nationalpark im Juli 2014. Foto: Stuart Palley/EPA

Interessant, wenn auch ähnlich unentschieden, ist die Analyse des Meereises um die Antarktis. Dessen Fläche hatte im Jahr 2014 zum ersten Mal seit langer Zeit wieder die Schwelle von 20 Millionen Quadratkilometern überschritten – es war der dritte Rekord in Folge. Im Südpolarmeer zeigt sich also der umgekehrte Trend wie im Norden. Verantwortlich war 2014 ein Feld ungewöhnlicher Winde, die schwimmende Eisschollen vom Kontinent Antarktis weg nach außen trieben, weil sie besonders kalte Luft relativ weit nach Norden brachten. Besonders zu bemerken war das in den Sektoren die Antarktis, die südlich von Neuseeland und vom mittleren Indischen Ozean liegen. Die Autoren haben sich dann, unter anderem mithilfe eines Supercomputers in Barcelona bemüht, einen menschlichen Einfluss auf diese Windfelder zu erkennen. Richtig gelungen ist es ihnen aber nicht.

Auch bei allem, was mit Regen oder fehlendem Regen zu tun hat, ist das Bild durchwachsen, wie schon von Thomas Karl angekündigt. Dürre zum Beispiel kann schließlich durch mangelnde Niederschläge, größere Hitze oder eine Kombination aus beidem ausgelöst werden. Zwei Studien zur Trockenheit in Ostafrika 2014 kommen darum zu widersprüchlichen Ergebnissen: die eine sieht den Effekt des Klimawandel, die andere eher nicht. Den Wassermangel in Brasilien erklärt ein weiteres Team durch steigende Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung. Auch eine menschliche Ursache, aber eben nicht der Klimawandel. Übermäßiger Regen wiederum hatte 2014 Großbritannien, Südfrankreich, Indonesien und Neuseeland getroffen. Nur für das letzte Beispiel glauben die Forscher den Einfluss des Klimawandels belegen zu können, bei den europäischen Ländern liefert die Analyse nur ein „Vielleicht“, und die Regenfälle in der indonesischen Hauptstadt Jakarta seien nicht einmal ungewöhnlich gewesen.

Dagegen habe der Klimawandel einen extremen Wintersturm über dem Himalaja in Nepal begünstigt, sagt eine Studie. Das bisher seltene Zusammentreffen eines tropischen Zyklons im Golf von Bengalen mit einer kurzlebigen Wetterdepression, die dem Sturm den Weg zum Gebirge bahnte, werde in Zukunft häufiger vorkommen, so das Autorenteam. Im Oktober 2014 verloren dadurch laut der Studie allein 43 Menschen in Lawinen ihr Leben.

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Der Weg des Hurrikans Gonzalo im Oktober 2014 nach Europa. Die tatsächliche Zugbahn ist violett, langfristige Vorausberechnungen seiner Route sind rot, kurzfristige gelb. Quelle: Frauke Feser et al, doi: 10.1175/BAMS-D-15-00122.1, im BAMS-Sonderband, Figure 11.1

Im gleichen Monat wurde Europa von einem starken Sturm getroffen, der sich aus dem Hurrikan Gonzalo in der Karibik entwickelt hatte. Dieser war um den 12. des Monates entstanden und dann binnen elf Tagen in einem weiten Bogen bis nach Griechenland gereist. Das, stellt eine Forschergruppe mit starker deutscher Beteiligung fest, war aber nicht so ungewöhnlich, wie es zuerst aussah. Winterstürme in Nordamerika und Hurrikane auf Hawaii seien aber sehr wohl durch den Klimawandel wahrscheinlicher geworden.

Christopher Schrader, alle Rechte vorbehalten

Hinweis: Dieser Beitrag beruht auf einem Artikel, den ich für die Süddeutsche Zeitung geschrieben habe.

 

Wo das Meereis bleibt

Polar ice viewed from aboard the Norwegian Coast Guard vessel, "KV Svalbard", during Secretary-General Ban Ki-moon’s visit to the Polar ice rim to witness firsthand the impact of climate change on icebergs and glaciers. The visit is part of the UN Chief's campaign urging Member States to negotiate a fair, balanced and effective agreement at the UN Climate Change Conference in Copenhagen in December. 1/Sep/2009. Polar Ice Rim, Norway. UN Photo/Mark Garten. www.un.org/av/photo/

Meereis vor Spitzbergen im September 2009, aufgenommen vom norwegischen Küstenwachboot KV Svalbard bei einem Besuch des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon,
Foto: UN Photo, Mark Garten, www.un.org/av/photo, flickr, creative commons licence

3. November 2015

Auf Spitzbergen hat der Klimawandel kurz der Jahrtausendwende richtig angefangen. Der Osten der Inselgruppe war bis dahin fest im Griff des Meereises. Wenn es dort 15 eisfreie Tage im Jahr gab, war das schon eine Ausnahme; mehr als 50 kamen praktisch nicht vor. Das begann sich in den späten 1990er-Jahren zu ändern: Der Trend der Jahr für Jahr erfassten eisfreien Tage knickte plötzlich nach oben. Den Maximalwert der historischen natürlichen Schwankungen, also jene 50 Tage, dürfte Spitzbergen etwa 2020 verlassen, und Mitte des Jahrhunderts ist an seiner Ostküste mit 100 eisfreien Tagen im Jahr zu rechnen, haben amerikanische Polarforscher berechnet. Es gehört damit zu den vielen Orten und Regionen rund um die Arktis, die bald verlässlich offenes Wasser vor sich haben werden.

„2050 werden die gesamte arktische Küste und der Großteil des Polarmeers 60 zusätzliche Tage von offenem Wasser erleben, und an vielen Orten werden es sogar 100 Tage sein“, fasst das Team um Katharine Barnhart von der University of Colorado in Boulder ihre Studie zusammen (Nature Climate Change, online, doi: 10.1038/nclimate2848). Die vier haben mit einem Computermodell berechnet, wie ungebremster Klimawandel die Geographie des Hohen Nordens ändern würde: Schließlich war das Eis in vielen Regionen eine feste Größe, dazu gehörten neben Ost-Spitzbergen auch die Ostküste Grönlands, Teile der kanadischen Inseln am Rande des Polarmeers und natürlich das Meer über dem Nordpol. In der ganzen Region beginnt  die Schmelzsaison früher und endet später.

Zurzeit ist diese Phase etwa Mitte September zu Ende. Dann erreicht das Meereis über die gesamte Arktis betrachtet seine geringste Ausdehnung, danach frieren wieder zehntausende Quadratkilometer zu (genauer: sie sind wieder zu mehr als 15 Prozent mit Gefrorenem bedeckt und fallen so aus der Kategorie „eisfrei“ heraus). Neben der jährlichen Durchschnittstemperatur ist die Meereis-Fläche am Ende der Schmelzsaison die zweite Größe, an der unter großer öffentlicher Anteilnahme die von natürlichen Schwankungen überlagerte Veränderung des Klimas abgelesen werden kann (siehe zum Beispiel Noaa und Meereisportal.de). Doch die reine Zahl der Quadratkilometer Meereis ist nur eine sehr pauschale Größe.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wann sich die Verhältnisse wo ändern, hat die Gruppe aus Boulder eine sogenannte Ensemble-Simulation ausgewertet. 30-mal wurde dafür das gleiche Klimamodell angeworfen, nachdem es mit jeweils leicht veränderten Ausgangswerten gefüttert worden war. Dieses Verfahren liefert eine Vorstellung davon, wie genau ein Ergebnis einer solchen Kalkulation bestimmt ist oder wie stark es von Zufällen abhängt . Das verleiht den Rechenwerten im besten Fall eine statistische Signifikanz. (Das Verfahren wird auch bei Wetterprognose verwendet: Wenn die Ergebnisse im Ensemble nahe beieinander liegen, und wenn auch die jeweils anderen Wetterdienste ähnliche Ergebnisse erzielen, getrauen sich Meteorologen, auch mal über längere Zeiträume als drei bis vier Tage eine Vorhersage zu machen.)

OpenWaterDaysArctic_Nov2015_Fig2Der Rückzug des ewigen Eises: Die Karte zeigt, in welchem Jahr eine Region der Arktis voraussichtlich zum letzten Mal für ein halbes Jahr von Eis bedeckt ist. Weiße Regionen hatten bisher stets offenes Wasser, das karierte Zentrum niemals. Grafik: Barnhart et al, Nature Climate Changeonline, doi: 10.1038/nclimate2848, Fig 2

Das Ergebnis ist zum Beispiel diese Karte. Sie zeigt, wann sich der Charakter einzelner Regionen der Arktis ändert, weil sie nun weniger als ein halbes Jahr von Eis eingeschlossen sind. In der kanadischen Hudson Bay (links unten) zum Beispiel ist der Prozess im Jahr 2040 abgeschlossen, entlang der grönländischen Küsten zieht sich das heute noch vorherrschende Eis ab 2025 nach Norden zurück. Mindestens 182 Tage Eis im Jahr gibt es dieser Simulation zufolge (sowie unter der Voraussetzung, dass die Staaten der Welt keinen wirksamen Klimaschutz beschließen) am Ende des Jahrhundert praktisch nur noch auf der grönländischen und ostkanadischen Seite des Polarmeeres, aber nicht mehr vor Alaska, und fast nicht mehr vor Sibirien.

Eine andere Studie hatte vor kurzem zudem gezeigt, dass der Arktis in den vergangenen Jahrzehnten sogar noch einiges erspart geblieben ist. Die Luftverschmutzung hat den Klimawandel in der Region abgemildert: 60 Prozent der Erwärmung, die Treibhausgase über das 20. Jahrhundert ausgelöst haben, wurden durch andere Emissionen abgepuffert, die in Form von Aerosolen in der Luft schweben. Die wichtigste Stoffgruppe dabei waren und sind Sulfate. Die Schwefel-Verbindungen, die auch bei Vulkanausbrüchen frei werden, kühlen das Klima ab, weil sie die Wolkenbildung verstärken. Ihnen entgegen wirken Rußpartikel, die in der Arktis niedergehen, und das Eis leicht grau färben. Es absorbiert dann eine Spur mehr Sonnenlicht und schmilzt schneller. Allerdings schützen die Sulfate das Eis stärker als Ruß es gefährdet.

Kanadische Forscher haben sich nun gefragt, wie das weitergeht. In den Zukunftszenarien, mit denen Klimaforscher gemeinhin rechnen, ist auch ein Rückgang der Luftverschmutzung eingeplant: Was aber passiert, wenn dieser Effekt trotz ansonsten leidlich effektiven Klimaschutzes (für Experten: RCP4.5) ausbleibt? Der Arktis, so ergibt die Rechnung von Marie-Ève Gagné und ihrer Kollegen vom kanadischen Umweltministerium, blieben dann die eisfreien Sommer ein weiteres gutes Jahrzehnt erspart: Statt 2045 passiert es erst 2057, dass die Meereis-Fläche im September unter die Grenze von einer Million Quadratkilometer fällt (Geophysical Research Letters, online, doi: 10.1002/2015GL065504). Das wäre deutlich weniger als zurzeit – 2014 waren es etwas mehr als fünf, im Jahr des Rekords 2012 immerhin 3,4 Millionen Quadratkilometer. Die schmutzige Luft wäre dann für das Meereis der Arktis sogar ein wenig vorteilhafter als ein insgesamt erfolgreicher Klimaschutz mit einer ehrgeizigen Senkung der Treibhausgas-Emissionen. „Die Studie bedeutet aber nicht, dass wir keine Gesetze für saubere Luft haben sollten“, sagte Nathan Gillett, Gagnés Kollegen und Ko-Autor, der Webseite Climate Central. „Viele Untersuchungen haben schließlich gezeigt, dass die Reduktion der Aerosole insgesamt große Vorteile bringt.“

Christopher Schrader, alle Recht vorbehalten

Kabeljau am Ende

imageKabeljau-Fischerei im Nordatlantik. Foto: Gulf of Maine Research Institute

29. Oktober 2015

Wer den Klimawandel unterschätzt, kann offenbar weder Fische noch Fischer retten. Diesem Zweck sollten schließlich die strengen Quoten für den Kabeljau-Fang im Golf von Maine dienen, die 2010 erlassen und zuletzt 2013 erheblich verschärft wurden. Dennoch erholt sich die Population kein bißchen, stellen Forscher eines lokalen Forschungsinstituts fest. Inzwischen ist die Zahl der Fische auf drei bis vier Prozent der Menge gefallen, die eine nachhaltige Fischerei erlauben würde.

Der Grund ist, dass die zuständige Behörde beim Festlegen der Quoten nicht auf die deutliche Erwärmung des Wassers geachtet hatte, stellt das Team um Andrew Pershing von Gulf of Maine Research Institute in Science fest (online, doi: 10.1126/science.aac9819). „Das immer wärmere Wasser hat den Golf immer weniger geeignet für Kabeljau gemacht, und die Reaktion des Managements war zu langsam“, sagt er. Die Quoten waren sehr niedrig und wurden wohl auch eingehalten, lagen aber trotzdem viel zu hoch.

Tatsächlich hat sich die weite Meeresbucht vor dem nordöstlichsten Bundesstaat zuletzt stärker erwärmt als 99,9 Prozent des Wassers aller Ozeane. Schon wenn die Forscher die Temperaturstatistik zwischen 1982 und 2003 betrachten, liegt die Erwärmung dreimal so hoch wie im globalen Durchschnitt, nämlich bei 0,3 Grad Celsius pro Jahrzehnt. Konzentrieren die Wissenschaftler sich auf die Dekade 2004 bis 2013, beträgt die Zunahme sogar 2,3 Grad, vor allen, weil der Zeitraum mit einem kühlen Jahr anfing und mit zwei Rekordjahren endete. 2012 herrschte geradezu eine Hitzewelle im Meer, der Golfstrom mit seinem warmen Wasser verschob sich sehr weit nach Norden. Das Pershing-Team sieht darin eine Folge des zunehmenden Ausstoßes von Treibhausgasen, sprich des Klimawandels.

Eine derartige Betrachtung eines kurzen Zeitabschnittes, dessen Anfang und Ende den Trend auch noch gewaltig steigern, entspricht nicht gerade den Regeln der Wetterstatistik. Für die Kabeljau-Studie ist sie aber gerechtfertigt. Denn gegen Ende der Periode, im Jahr 2010, traten die Fischereiregeln in Kraft, als die Zahl der Fische innerhalb weniger Jahre um vier Fünftel gefallen war. Die Fangquoten haben den Trend aber nicht gestoppt, obwohl sie 2013 um
73 Prozent gesenkt wurden, stellen Pershing und Kollegen fest.

CodManagmentMaine_pershing4HR Kopie CodManagmentMaine_pershing4HR

Während die Temperaturen Golf von Maine immer weiter anstiegen (oben, Abweichung vom Mittelwert in Grad Celsius), ging die Biomasse der fortpflanzungsfähigen Fische drastisch zurück (unten, in Tonnen). Grafik: Lenfest Ocean Program, 2015. Quelle: Pershing et al, Science (online, doi: 10.1126/science.aac9819).

Dabei war der Einfluss der Wärme auf die Fische eigentlich bekannt. Die genauen Ursachen sind allerdings noch ein Rätsel, womöglich bekommen schon Larven und Jungfische in ihrem ersten Sommer Probleme. Auch die Vierjährigen könnten kurz vor der Geschlechtsreife zu wenig Futter finden, weil ihr Energiebedarf im wärmeren Wasser deutlich erhöht ist. Jedenfalls sind im Durchschnitt alle gefangenen Fische zu klein und dünn für ihr Alter gewesen.

Das nicht zu berücksichtigen, zeigen die Forscher auf, hat in Modellrechnungen zu einer ungefähr konstanten Zahl von Fischen geführt und zu falschen Quoten, während in Wirklichkeit die Population abstürzte. Eine Modellrechnung, die den Einfluss der Wassertemperaturen berücksichtigt, hätte deutlich realistischere, niedrigere Zahlen geliefert. „Das hat zu einer frustrierenden Situation geführt und zum Misstrauen zwischen Fischern, Wissenschaftlern und Managern beigetragen“, sagt Pershing.

Selbst wenn die Kabeljau-Fischerei im Golf von Maine nun komplett verboten würde, bräuchte die Fischpopulation angesichts der beobachteten Erwärmung zehn Jahre, um sich zu erholen, zeigt eine Simulationsrechnung. Schon geringe Fangquoten könnten den Zeitraum um weitere acht Jahre verlängern. „Weil der Klimawandel die Arten in Richtung der Pole drängt, müssen Manager solcher Ressourcen zunehmend die Erhaltung der Spezies und den ökonomischen Wert der Fischerei abwägen“, schließen die Forscher. Wer wichtige Größen ignoriert, wird an dieser Aufgabe scheitern.
Christopher Schrader, 29.10.15

P.S.: Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer Freitagsgabe auch über eine aktuelle Studie aus kanadischen Gewässern, wo sich der Kabeljau dank noch strengerer Quoten – und weniger Wärme – langsam erholt.

Wärme im Übermaß

Year-to-date-temp_Sep2015_NoaaQuelle der Grafik: Noaa

23. Oktober 2015

Der September 2015 hat einen neuen Wärmerekord aufgestellt, meldet die US-Behörde für Ozean und Atmosphäre Noaa. Die Landmassen und alle Weltmeere zusammengefasst war die Erdoberfläche 0,9 Grad Celsius wärmer als der Durchschnitt über alle September im 20. Jahrhundert. In absoluten Zahlen zeigten die Thermometer in dem Monat statt der statistisch zu erwartenden 15,0 Grad eben 15,9 Grad an. Es ist damit der siebte Spitzenplatz eines Monats dieses Jahres: Auch für die Monate Februar, März und Mai bis August verzeichnet Noaa Rekorde; in ihrer 136-jährigen Aufzeichnungsgeschichte hatte es diese Temperaturen zuvor nicht gegeben. Blätter wie der Guardian oder die Süddeutsche Zeitung haben darüber schon berichtet.

Der neue Monatsrekord bedeutet auch, dass 2015 auf einen Jahresrekord zu steuert. Sicherlich könnten drei außergewöhnlich kalte Monate Oktober bis Dezember diese Höchsttemperatur noch verhindern, aber dazu müsste schon einiges geschehen. Einen Eindruck davon vermittelt die Noaa-Grafik oben. Während frühere Rekordjahre sich – wenn man es in eine Sport-Metapher fasst – eng umkämpfte Rennen lieferten, geht 2015 nach jetzigen Stand auf dieser Darstellung einem ungefährdeten Start-Ziel-Sieg entgegen. Wer die Grafik vollständiger und wuseliger möchte, findet sie hier. Da sieht man dann, dass 2015 zumindest im Januar noch hinter einem anderen Jahr lag, nämlich 2007, das dann aber für die sieben Spitzenplätze der Statistik keine Rolle mehr spielt.

Für diese Wärme gibt es zwei erkennbare Gründe. Der erste ist der Klimawandel, der eine globale Erwärmung auslöst. Der zweite ist das sogenannte El-Niño-Phänomen, eine großräumige Verlagerung von Luftdruckmustern und Warmwasserregionen im Pazifik. Es bringt regelmäßig einen Aufschlag in der Temperaturstatistik mit sich, diesmal einen deutlichen. Gravierender aber sind die unmittelbaren Folgen für die Anrainer des Pazifik: An der Westküste der Amerikas sind heftige Regenfälle zu erwarten, in Asien hingegen dürften Niederschläge ausbleiben. Noaa erwartet, dass der El Niño das Winterwetter prägt und sich erst im kommenden Frühjahr wieder abschwächt.

Der Anfang und eine Erklärung

19.10.2015

Laufendes Gut

Was ist denn das für ein Titel für einen Blog – Laufendes Gut? Nun, der Begriff kommt aus der Schifffahrt und bezeichnet alles Tauwerk, alle Drahtseile oder Ketten, die nicht an beiden Enden befestigt sind und sich bewegen. Im Gegensatz zum stehenden Gut, das vor allem der Stabilität des Schiffs dient – wie Stage und Wanten, die einen Mast aufrecht halten –, ist das laufende Gut dazu da, ein Schiff zu steuern und anzutreiben. Auf dem Segelschiff, dem umweltfreundlichsten Transportmittel zur See, gehören zum laufenden Gut unter anderem:
• die Fallen, um Segel zu setzen,
• die Schoten, mit denen die Besatzung die Stellung der Segel reguliert,
• verschiedene Strecker und Reffleinen oder -taljen, um die Segelfläche zu trimmen und bei stärkerem Wind zu verkleinern,
• Brassen, mit den auf einem Windjammer die Rahen mit den großen rechteckigen Segeln seitlich bewegt und fixiert werden,
• Dirke, die einen Baum hochhalten,
• und wenn man es etwas weiter fasst (Segler werden jetzt den Kopf schütteln) auch die Ankerkette und Festmachleinen, die für eine sichere Abfahrt und Ankunft nötig sind.

Ohne laufendes Gut ist also das schönste Segelschiff nutzlos, weil man damit nicht dorthin kommt, wo man hinkommen möchte. Und das erscheint mir eine passende Metapher für die Klimaforschung im weitesten Sinne zu sein. Sie ist längst dem Stadium entwachsen, wo sie allein dokumentierte, welche Veränderungen der Anstieg der Treibhausgas-Emissionen in der Atmosphäre oder im Ozean bewirkt, was die globale Erwärmung für Mensch, Tier und Pflanze bedeutet. Die Basis dieses Wissens ist breit, und der Einfluss der Menschheit inzwischen unbestreitbar.

Spannender und mehr der offenen Diskussion unterworfen sind die Fragen, wie die Bewohner dieses Planeten die Auswüchse dieser Entwicklung mindern und sich den unvermeidbaren Veränderungen anpassen. Hier trifft die physikalische, biologische oder ökonomische Forschung auf Politik und Moral. Und dann gibt es eben keine Ergebnisse mit naturwissenschaftlicher Präzision, sondern eine Reihe von Optionen, die zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden müssen (so argumentieren zum Beispiel der britische Forscher Mike Hulme und Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (hier und hier)). Genau wie auf einem Segelschiff die Besatzung entscheiden muss, wie sie an ihr Ziel kommt, wenn der Wind nicht gerade optimal schräg von hinten („raumschots“) kommt. Und in der Klimadebatte weht einem der Wind ja eher direkt ins Gesicht.

Im Prinzip könnten wir als Menschheit uns ja auf den Standpunkt stellen, dass wir einfach dahin segeln, wohin der Wind uns treibt. Außerhalb der Metapher, die ich ja auch nicht überstrapazieren will, hieße das, die Risiken zu akzeptieren und es gleichgültig hinzunehmen, wenn arme Bauern in Afrika wegen veränderter Regenmuster ihre Existenzgrundlage verlieren. Oder Bewohner von Südsee-Inseln eine neue Heimat brauchen, weil die alte überspült wird oder zumindest alle Wasserquellen vom steigenden Meeresspiegel versalzt werden. Meine Position ist das nicht, um es klar zu sagen, und auch nicht die Linie, die Staaten bei Verhandlungen über einen globalen Klimavertrag wenigstens offiziell vertreten. Weil der Klimawandel die Armut der Menschen in vielen Entwicklungsländern enorm verschärfen wird, muss eine Strategie gegen die globale Veränderung auch gleichzeitig die soziale und ökonomische Situation von Milliarden Menschen mitdenken. Im besten Fall löst die Menschheit die Probleme Klimawandel und Armut gleichzeitig.

Klimaforschung kann uns auf dieser Reise in die Zukunft die Mittel in die Hand geben, den richtigen Weg zu finden. Wir werden ständig über den Kurs diskutieren und ihn womöglich anpassen müssen. Darüber soll dieser Blog berichten. Manche Beiträge werden einfache Meldungen sein, andere eher Einordnungen oder Kommentare. Als gelernter Journalist werde ich mich um eine Trennung von Nachricht und Meinung bemühen und es kenntlich machen, wenn ich etwas bewerte anstatt nur zu berichten. Ob das dann auch laufend gut ist, liegt im Urteil meiner Leser.

Hamburg, im Oktober 2015, Christopher Schrader

PS: Ein Detail zum laufenden Gut noch, das ich mir nicht verkneifen kann. Es heißt im Englischen running rigging und Wikipedia berichtet, dass es im Gegensatz zum stehenden Gut in der Vergangenheit nicht mit Teer zum Schutz gegen die Elemente bestrichen wurde, weil das Tauwerk ja flexibel bleiben sollte und man Umlenkrollen und Taljen (Flaschenzüge) nicht verkleben wollte. Teer ist ein Produkt aus Erdöl oder Kohle, und laufendes Gut war frei davon. Was will man mehr?