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Der March for Science und das Mittelalter

Hamburg, 24. April 2017

Science March in Hamburg: Nach der ersten Kundgebung geht es vom Rathausmarkt los
in Richtung Jungfernstieg. Foto: C. Schrader 

Am Samstag waren etwa 1500 bis 2000 Menschen auf dem Hamburger Rathausmarkt beim hiesigen March for Science. Es war einer von 600 auf dem ganzen Planeten, die in Solidarität mit dem Protest der amerikanischen Wissenschaftler stattfanden. Diese marschierten in Washington, andere demonstrierten auch in der Antarktis, unter Wasser vor Hawaii und in etwa 20 deutschen Städten, darunter Heidelberg, Berlin und München.

Als ich vor dem Hamburger Rathaus stand und dort den Reden zuhörte, dachte ich an eine Passage aus dem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari. Er definiert die Entwicklung unserer Spezies als eine Abfolge von drei Revolutionen, der kognitiven vor 70000 Jahren, der landwirtschaftlichen vor 12000 Jahren und der wissenschaftlichen vor 500 Jahren. In dieser sind wir noch mitten drin, und der Anlass der Demos war, dass wir gerade eine Art Konterrevolution erleben: Der Einfluss der Wissenschaft auf das Denken und die Politik soll zurückgedrängt werden. Um dem entgegenzutreten, forderten die Veranstalter der Märsche – und damit die Teilnehmer – eine Art Evidenz-basierter Politik, also gesellschaftliche Entscheidungen, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen, zumindest dort, wo sie vorhanden sind.

Foto von twitter, Bearbeitung: cs

Es ist interessant, wie Harari das Wesen der wissenschaftlichen Revolution definiert. Sie habe mit dem Eingeständnis des Unwissens begonnen, sagt er. Im Mittelalter war die Menschheit, jedenfalls in Europa, aber auch in anderen Kulturkreisen, der Meinung, alles Wissenswerte sei schon bekannt. Wer sich bildete, nahm dieses vorhandene Wissen in sich auf, niemand sah die Notwendigkeit, darüber hinaus zu denken. Was nicht bekannt war, war unwichtig. Und Empirie, die dem scheinbaren Wissen widersprach, konnte daran auch nichts ändern, manchmal war sie sogar gefährlich.

Dieses Bewusstsein änderte sich zu Beginn der Neuzeit. Harari illustriert das am Beispiel der „Entdeckung“ Amerikas. Christopher Columbus segelte 1492 in der festen Erwartung los, den Seeweg nach Indien zu finden. Er betrachtete die Karibik-Inseln, auf denen er landete, als Teil Indiens (noch heute heißen sie westindische Inseln) und nannte ihre Bewohner Indios. Bis zu seinem Tod beharrte er auf dieser Postion. Und dann kam der „erste moderne Mensch“ Amerigo Vespucci, der um das Jahr 1500 nach Europa von einem unbekannten Kontinent berichtete, vor dessen Küste Columbus‘ Inseln lägen. Es war ein Kontinent, von dem die Gelehrten seiner Zeit nichts wussten, der in ihren Büchern nicht vorkam, den es nach mittelalterlichem Denken nicht geben konnte. Harari urteilt: „Im Grunde ist es nur gerecht, dass ein Viertel der Welt nach einem unbekannten Italiener benannt wurde, an den wir uns heute nur deshalb erinnern, weil er den Mut hatte zu sagen: ,Wir wissen es nicht.'“

Das Weltbild des Mittelalters war natürlich stark geprägt von heiligen Büchern. Und die Menschen lebten in Ehrfurcht davor. „Es war unvorstellbar“, schreibt Harari, „dass die Bibel, der Koran oder die Vedas ein entscheidendes Geheimnis des Universums übersehen haben könnten, und dass es an gewöhnlichen Sterblichen sein könnte, dieses Geheimnis zu lüften… Was die mächtigen Götter nicht offenbarten und was die Weisen der Vergangenheit nicht in ihre Schriften aufnahmen, war definitionsgemäß irrelevant.“

Und da – jetzt spinne ich Hararis Analyse weiter –  haben wir doch eine Erklärung für die Wissenschafts-Feindlichkeit, die uns zum Beispiel aus den USA entgegenschlägt. Die religiöse Rechte, die dort jetzt den Ton angibt, beharrt darauf, dass Gott die Geschicke der Welt bis ins Detail lenkt, und verlangt Unterordnung unter die himmlische Fügung (und ganz nebenbei kann man dann noch die eigenen Interessen der biblischen Botschaft unterjubeln): Am klarsten zeigt sich das bei der Opposition gegen die Evolutionsforschung und den Evolutionsunterricht in den Schulen. Es ist aber auch in den Debatten über den Klimawandel, Impfungen oder Gentechnik zu erkennen. In dieser Hinsicht führt der Gegenwind gegen die Wissenschaften sozusagen in das Mittelalter zurück nach dem Motto: Es ist nicht am Menschen, die Geheimnisse Gottes zu lüften und zu entweihen.

Es ist nötig, sich diese Positionen einmal auf diese Weise klar zu machen. Natürlich will von den Anhängern der Trump-Regierung niemand zurück ins Mittelalter. Aber die geistige Haltung, der Wissenschaft keinen zentralen Wert mehr in der Gesellschaft einzuräumen, hat viele Parallelen zur damals verbreiteten Position des Nicht-Wissen-Wollens.

PS: Zwei Bemerkungen noch. Erstens: Dass es der Wissenschaft erfolgreich gelingt, viele Geheimnisse zu lüften, nehmen manche als Beleg, dass es Gott gar nicht gibt. Das halte ich für eine unzulässige Verkürzung, außerdem tritt man damit den Menschen vor das Schienenbein, für deren Identität der Glauben an Gott zentral ist. Das ist nicht nur grundlos verletzend, sondern auch sinnlos und taktisch unklug, weil es Reaktionen wie die jetzige beschleunigen kann. Zudem gibt es in den Kirchen viele kluge Menschen, die zwischen Religion und Wissenschaft überhaupt keinen Widerspruch sehen, auch und gerade auf den Gebieten Evolution und Klimawandel.
Zweitens: Dass sich Politik auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt, unterstütze ich natürlich vollkommen. Doch das greift zu kurz, denn die Resultate der Wissenschaft können gesellschaftliche Entscheidungen ja nicht ersetzen. In der Klimadebatte zum Beispiel kann man sehr wohl verschiedene Kurse steuern, wenn sie alle die Leitplanken einhalten, die die Wissenschaft gesteckt hat. Insofern müsste man eigentlich fordern, dass Politik den Erkenntnissen der Forschung nicht widersprechen sollte, sie darüber hinaus aber ihren Gestaltungsfreiraum ausschöpfen kann – und dass sich jeder in einer Demokratie daran beteiligen kann. Das ist vielleicht nicht sexy genug für den Aufruf zu einer Demonstration, aber zentral für das Selbstverständnis des Wissenschaftlers als Bürger. Wie heißt es beim IPCC: policy relevant but not policy prescriptive.

Aerosole: Problem gelöst?

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Das Sphinx-Observatorium auf dem Jungfraujoch ragt so eben noch aus den Wolken. Foto: Paul Scherrer Institut/ Julie Cozic

 

Update: Diesen Beitrag habe ich am 29. Juni 2016 um eine Stellungnahme von Wissenschaftler aus Leipzig ergänzt

Hamburg, 26. Mai 2016

Das Jungfraujoch in den Berner Alpen beherbergt nicht nur den höchsten Bahnhof Europas, sondern auch das „Sphinx“ genannte Observatorium in 3580 Metern über dem Meeresspiegel. Wenn es sich in Wolken hüllt, wie auf dem Foto, sind vielleicht die Touristen enttäuscht, aber Forscher wie Urs Baltensperger vom Paul-Scherer-Institut in Villigen im Kanton Aargau sind in ihrem Element. Baltensperger ist Atmosphären-Chemiker und Mitglied mehrerer internationaler Forschungsgruppen, die auf dem Jungfraujoch und am Forschungszentrum Cern in Genf die Entstehung von Wolken untersuchen. An den jüngsten Daten der Teams entzündet sich nun eine interessante forschungspolitische Diskussion (wer gleich dorthin springen möchte, findet sie auf der zweiten Seite; hier folgt zunächst eine Einbettung.)

Damit sich der Wasserdampf in der Luft zu kleinen Tröpfchen verflüssigen kann, die dann wie weiße Schleier oder Wattebausche über den Himmel driften oder später als Regentropfen zu Boden fallen, braucht er Kondensationskeime. Das sind kleine Partikel, die in der Luft schweben, 50 bis 100 Nanometer (Millionstel Millimeter) groß. Etwa die Hälfte von ihnen bestehen aus Staub, Sand, Russ oder Meersalz; seit kurzem weiß man auch, dass Pflanzenpollen oder Pilzsporen solche primären Kondensationskeime bilden können. Die andere Hälfte heißt sekundär, weil sie sich in der Atmosphäre neu bilden. Dazu müssen sich allerdings viele Moleküle wie Ammoniak oder ätherische Duftstoffe sowie deren oxidierte Folgeprodukte zu Clustern zusammenfinden. Sie sind zunächst, wenn sie nur aus zwei Partnern bestehen, oft instabil und brauchen einen guten Klebstoff, um noch zusammen zu sein, wenn die Moleküle 3, 4, 5 und so weiter angedriftet kommen.

Ein wichtiger Klebstoff ist Schwefelsäure (H2SO4). Sie bildet sich in der Atmosphäre aus Schwefeldioxid, das Vulkanausbrüche sowie allerhand industrielle Prozesse freisetzen. Die Menge dieses Luftschadstoffs hat derart zugenommen, dass sich Forscher gar nicht erklären konnten, wie sekundäre Kondensationskeime ohne Schwefelsäure überhaupt entstehen konnten. „Bislang dachten wir immer, wir bräuchten einen Zwei-Komponenten-Kleber zum Beispiel aus organischen Molekülen und Schwefelsäure“, sagt Joachim Curtius von der Universität Frankfurt/Main in einem Artikel von mir in der Süddeutschen Zeitung. „Jetzt zeigt sich: Die erste Komponente reicht, wenn kosmische Strahlung dazu kommt.“* Curtius, Baltensperger und viele andere Forscher haben in dieser Woche dazu gleich drei Studien in hochrangigen Journalen veröffentlicht. In Nature steht, wie sich die Molekül-Cluster im Laborexperiment ohne Schwefelsäure bilden und zu geeigneten Kondensationskeimen heranwachsen. Und in Science berichten die Wissenschaftler, dass ähnliche Prozesse auch in der freien Atmosphäre über dem Jungfraujoch zu beobachten sind. Die Redaktion in Washington hat dafür sogar ihre Sperrfrist um einen Tag verkürzt, damit das Paper zum gleichen Zeitpunkt erscheint wie die beiden in London.

Letztlich bedeutet das: Die industriellen Aerosole sind weniger bedeutend als die Wissenschaft lange befürchtet hatte. Diese Angst stammt aus einer früheren Zeit, als die Erwärmung der Atmosphäre noch nicht so deutlich zu messen war. Die Menge an Kohlendioxid war zwar gestiegen, aber es schwebte auch viel Schwefelsäure in der Luft. Forscher nahmen also an, dass eine deutliche Aufheizung durch CO2 durch eine ebenso deutliche Abkühlung wegen des H2SO4 mehr oder minder kompensiert würde. Oder sie konnten es jedenfalls nicht ausschließen – und so wurde der Ausblick in die Zukunft noch weniger zuverlässig. Es bedeutete nicht nur eine Komplikation für das Design von Klimamodellen, die die Entwickung der Temperaturen sowie von Niederschlägen berechnen sollten. Sondern hier lauerte auch die Gefahr, dass die erwünschte Reinigung der Luft von Industrieabgasen mit ihren Schwefelausdünstungen den fühlbaren Klimawandel plötzlich beschleunigen könnte. Diese Sorge ist gebannt, wenn Schwefelsäure weniger wichtig für die Wolkenbildung ist als lange angenommen.

Weiter auf Seite 2

 

 

 

* In diesem Beitrag soll es nicht um das eben gefallene Reizwort „kosmische Strahlung“ gehen: Wer sich dafür interessiert, kann das in meinem SZ-Artikel und/oder in dieser Fußnote nachlesen. Kosmische Strahlung ist vor allem in der Diskussion mit oft verbohrten Kritikern der etablierten Klimaforschung zum Streitpunkt geworden, ich nenne sie mal die Kalte-Sonne-Fraktion. Deren Argument geht so: Das Magnetfeld der Sonne lässt manchmal mehr und manchmal weniger kosmischen Strahlen durch. Da diese wiederum einen Einfluss auf die Wolkenbildung besitzen, könnten sie den Wärmehaushalt der Erde beeinflussen – weniger kosmische Strahlung, weniger Wolken, mehr Sonnenlicht erreicht die Oberfläche, höhere Temperaturen. So ungefähr. Manche Kritiker destillieren aus dieser Möglichkeit die Behauptung, kosmische Strahlen und nicht die Treibhausgase seien die eigentliche Ursache der globalen Erwärmung – sämtliche politischen Initiativen zum Klimaschutz also sinnlos.

Diese These ist aus vielen Blickwinkeln beleuchtet worden und nirgends fand sich ein Beleg. Auch das Labor-Experiment CLOUD von Curtius, Baltensperger und anderen hat in etlichen Versuchsreihen keine geliefert. So ist es auch diesmal. Zwar können kosmische Strahlen die Entstehung der ersten kleinen Cluster mit einer Größe von ein bis zwei Nanometern deutlich verbessern, aber auf das Wachstum zum Kondensationskeim von 50 bis 100 Nanometern haben sie nach Aussage der Forscher „keinen Einfluss“. Zudem gibt es seit Beginn der Industrialisierung so viel Schwefelsäure in der Atmosphäre, dass die Dienste der kosmischen Partikel kaum noch gebraucht werden. Sie können vielleicht erklären, warum die Erde in früheren Epochen stärker auf die Veränderungen im Strahlungseinfall reagiert hat, aber sicherlich nicht, warum sie sich in der jüngeren Vergangenheit erwärmt hat.

 

Aerosole: Problem gelöst? Seite 2

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Wolken über Berlin – bei Sonnenuntergang von unten beleuchtet. Schwefelsäure in der Atmosphäre hat bei der Bildung sicherlich mitgeholfen. Foto: C. Schrader 

 

Hamburg, 26. Mai 2016

Fortsetzung von Seite 1

Aus diesem wissenschaftlichen Erfolg entspinnt sich eine interessante forschungspolitische Diskussion, die ich in meinem SZ-Artikel nur anreiße, und hier vertiefen will. Bjorn Stevens, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, verbindet sein Lob für die Ergebnisse aus der Schweiz mit einer Forderung, die den Autoren der Studien kaum gefallen dürfte. Da sich die Aerosole als wenig bedeutsam gezeigt haben, solle man sie gleich ganz aus den Simulationen nehmen und die Erforschung ihrer Effekte auf das Klima einstellen. „Insofern bedeuten die Messungen einen großen Sieg: Wir können das zur Seite legen und uns wichtigeren Dingen widmen.“

Zur genaueren Erklärung hat Stevens nach dem Interview noch eine E-Mail geschickt.

My point is that these studies support the assertion that we probably don’t need to better understand the aerosols to advance on what are some of the first rank problems related to understanding climate change.  As I mentioned yesterday, air pollution and human health are big issues, and science should work on problems that interest scientists (to some degree) so it would be unfair and incorrect to say that we should stop aerosol research.
I’m just trying to say that it is less central to understanding climate than we perhaps believed 10 or even a few years ago… or for that matter before this study.  And knowing what might be important (for a particular problem) is often a great step forward when researching something as complex as Earth’s climate.

Seine Position ist nicht ganz neu: Stevens hat das 2013 bereits in einen Kommentar in Nature geschrieben. Die damals besprochene Studie von Ken Carslaw (der auch zu dem Autoren der beiden neuen Nature-Studien gehört) und anderen in Leeds habe gezeigt, so Stevens, dass „wenn es einen Aerosol-Joker gab, dann wurde er bereits vor einem Jahrhundert gespielt und ist irrelevant für das Verständnis momentaner und künftiger Veränderungen des globalen Klimas geworden“.

Diese Logik leuchtete damals nicht unbedingt jedem ein, forderten doch die Autoren der Studie, man müsse mehr über die „unverdorbene vor-industrielle Umwelt“ erfahren. Die natürlichen Aerosole trügen 45 Prozent zur heutigen Unsicherheit über die Wirkung der Schwebteilchen bei, die industriellen nur 34 Prozent. So groß erschien der Unterschied nicht, als dass man den kleineren Part einfach ignorieren könnte.

Doch inzwischen haben die Forscher um Baltensperger und Curtius ja Daten über die Verhältnisse vor der Industrialisierung geliefert. Sie lassen den Einfluss der industriellen Aerosole geringer als befürchtet erscheinen, also kann Stevens seine Forderung mit Verve wiederholen.

Es ist wenig Wunder, dass die Autoren der neuen Studien die Schlussfolgerung des MPI-Direktors nicht teilen. Joachim Curtius hat mir geschrieben:

Durch unsere Untersuchungen verbessert sich genau unser Verständnis der früheren, nicht durch Menschen belasteten Atmosphäre, und wir erreichen damit eine wesentliche Verringerung der Unsicherheit und unser bisheriges „poor knowledge“ wird verbessert. Das ist genau das was auch nach Herrn Stevens’ Meinung bisher gefehlt hat. Damit können wir die Aerosoleffekte jetzt genauer beziffern. Die Verringerung dieser Unsicherheit (die gleichzeitig die Unsicherheit beim Gesamtstrahlungsantrieb inkl. Treibhausgase dominiert) ist eine der ganz großen Herausforderungen und genau da tragen wir zur Verringerung der Unsicherheit bei und es ist in  meinen Augen höchst sinnvoll diesen Fragen weiter nachzugehen.  Und, ja, die Effekte werden wohl kleiner, aber sie werden nicht null.

Und Urs Baltensperger hat sich so geäußert:

Es ist zwar richtig, dass bei der heutigen Situation mit höheren Aerosolkonzentrationen eine Änderung von sagen wir 10% eine kleinere Auswirkung hat als in der vorindustriellen Zeit. (…) Dies bedeutet aber nicht, dass die Auswirkungen völlig egal wären; wir sprechen ja über viel größere Änderungen als 10%. (…) Der Strahlungsantrieb der Aerosole durch Wechselwirkung mit den Wolken  ist damit nach wie vor relevant, aber schlecht quantifiziert, und benötigt deshalb weitere Forschung, unter anderem, um die Effekte der vorindustriellen Zeit und damit auch die Differenz besser quantifizieren zu können. (…) Daneben gibt es aber nach wie vor den direkten Effekt der Aerosolpartikel mit der Strahlung (in unseren Papern gar nicht angesprochen), und da gibt es diesen Sättigungseffekt nicht. Ich kann aus diesen Gründen die Schlussfolgerungen absolut nicht nachvollziehen. Sie werden auch durch ständige Wiederholungen nicht richtiger.

Diese Diskussion hat unter anderem Bedeutung für das Design künftiger Klimamodelle: Brauchen Sie die zusätzliche Komplexität, die das Nachstellen der Aerosol-Chemie bedeutet oder nicht? Piers Foster von der Universität Leeds, der wie Stevens ein Lead Author des entsprechenden Kapitels im fünften Bericht des IPCC war, nimmt eine Art Mittelposition ein und wirbt für Pragmatismus – vor allem weil die Aerosole viel Rechenzeit verbrauchen.

I think the wider climate community needs to move to suites of related climate models with different degrees of complexities, so you can choose your climate model depending on the question you want to answer. The new UK Earth system model which is just going online is a case in point. Colleagues at Leeds, led by Ken Carslaw (author of the Nature papers) led the development of the aerosol scheme within this model. It contains the complexities talked about in the Nature papers, so it is a good one.
However, they are very computational expensive models to run and around 75% of the computer time within the Earth system model is taken up by the interactive chemistry and aerosol scheme. This severely limits the experiments we can do with it. So I think we also need the stripped down models with simplistic aerosol schemes – and these simple models can be used to explore many other very important problems in climate change not related to aerosols.

In der Tat empfiehlt aber auch er seinen Kollegen, bei ihren Forschungsanträgen in Zukunft nicht mehr zu betonen, die Aerosole machten die größte Unsicherheit in der Klimaberechnung aus. Das stimme einfach nicht mehr. „Die Aerosol-Community hat großartige Arbeit geleistet und es gibt noch viele Fragen, denen sie sich widmen kann: Luftqualität und der Beitrag der Aerosole zur Klimavariabilität sind zwei interessante.“
 

Ergänzung am 29. Juni 2016

Mehrere Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung in Leipzig und von der dortigen Universität haben mich gebeten, hier auch ihre Stellungnahme zu der These von  Bjorn Stevens zu dokumentieren.

Dieser Aussage möchten wir ausdrücklich widersprechen. Generell ist es sehr problematisch, aus den Untersuchungsergebnissen zu einigen organischen Partikelbestandteilen direkt auf deren Auswirkung auf die Wolkenbildung auf klimarelevanten Skalen zu schließen. Klimamodelle können Aerosol-Wolkenprozesse noch nicht ausreichend realistisch abbilden. Daher kann die Bedeutung der neuen Ergebnisse für die Klimaentwicklung nicht ohne weiteres abgeleitet werden. Dass die Einflüsse atmosphärischer Aerosolpartikel auf das Klima im Allgemeinen nicht ignoriert werden sollten, wird auch in einer gerade erschienenen, thematisch relevanten Veröffentlichung in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift ‚Proceedings of the National Academy of Sciences’ verdeutlicht (Seinfeld et al 2016). Hier stellen die Autoren heraus, dass selbst bei einer Verringerung der Empfindlichkeit von Wolkeneigenschaften in Bezug auf Aerosolpartikeln, es in Zukunft, z.B. auf Grund der sinkenden Partikelkonzentrationen, nicht weniger wichtig wird, die von ihnen verursachten Modifikation des Treibhauseffekts und damit ihre Wirkung auf das Erdsystem besser zu verstehen.

Die Schlussfolgerung, dass die Rolle von Aerosolpartikeln im Klimasystem verstanden, ihre Auswirkungen hinreichend geklärt und quantifiziert wären und somit zu diesem Themenkomplex nicht weiter geforscht werden solle, ist also in keiner Weise nachvollziehbar.

gez. Ina Tegen, Hartmut Herrmann, Andreas Macke, Frank Stratmann, Ulla Wandinger, Alfred Wiedensohler (Leibniz-Institut für Troposphärenforschung); Johannes Quaas, Manfred Wendisch (Leipziger Institut für Meteorologie, Universität Leipzig)

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Welche Pause?

NoaaJan-OctTempsSo sieht es aus, wenn die globale Erwärmung erlahmt, oder? Foto: Noaa

„Seepage“, das ist im Englischen ein technischer und geologischer Begriff, der etwas mit Ein- oder Durchsickern zu tun hat. Je nach den beteiligten Flüssigkeiten kann der Vorgang einigermaßen unappetitlich werden, und es ist anzunehmen, dass diese Assoziation Stephan Lewandowsky und Naomi Oreskes ganz willkommen war. Sie haben den Begriff nämlich ins Feld der Wissenschaftsgeschichte übertragen. In einem vielbeachteten Aufsatz monieren die beiden (er ist Psychologe von der Universität im britischen Bristol, sie Wissenschaftshistorikerin an der Harvard University), die Klimaforschung als Disziplin habe sich von ihren Kritikern die Agenda diktieren lassen. Regelrecht eingesickert ins Gewebe der Wissenschaft seien die ständigen Attacken der Lobbygruppen in Gestalt sogenannter Thinktanks und anderer Kritiker. Viele Forscher hätten versucht, Argumente der Kritiker mit ihrer Forschung inhaltlich zu entkräften, die sie eigentlich schon aus formalen Gründen als falsch hätten erkennen können. Aber dabei hätten sie eben die Prämisse der Angriffe akzeptiert und so legitimiert.

Lewandowsky, Oreskes und ihre Mitstreiter belegen ihre These anhand des Begriffs der sogenannten Erwärmungspause. Schon 2006 hatten die Kritiker damit begonnen, immer wieder zu behaupten, seit 1998 habe sich die Erde nicht mehr erwärmt. Dieses Anfangsjahr war offensichtlich mit Bedacht gewählt, denn es ragte als Rekordjahr weit über die bis dahin verfügbare globale Temperaturstatistik hinaus. Damals hatte zwar die Nasa schon für 2005 einen neuen Rekord ausgerufen, seither haben 2010 und 2014 jeweils Spitzentemperaturen erreicht, und auch 2015 ist der Platz Eins in der Statistik kaum noch zu nehmen. Aber solche Details haben die Kritiker nie groß interessiert.

Grundsätzlich ist ein Zeitraum von zunächst acht, inzwischen knapp 17 Jahren nicht lang genug, um Klimatrends zweifelsfrei zu belegen. Das Lewandowsky-Team listet dennoch 51 wissenschaftliche Aufsätze allein aus den Jahren 2013 und 2014 auf, die sich mit der angeblichen Pause befassten und Ursachen dafür suchten. Zudem übernahm der IPCC im Jahr 2013 das Argument und erklärte, die Erwärmung seit 1998 sei hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Damals rätselte alle Welt, ob der Weltklimarat in seiner wichtigen Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger sogar das Wort „Pause“ oder das verklausulierte, aber letztlich gleichbedeutende „Hiatus“ verwenden würde – er verzichtete darauf. Unter anderem die deutsche Delegation hatte sich dafür verwendet.

Es war jedoch anhand mehrerer Studien bald klar, dass an der Pause wenig dran ist; inzwischen belegen mehrere Untersuchungen sogar, dass es nicht einmal eine nennenswerte Verlangsamung der Erwärmung gegeben hat. „Das Einsickern passiert, wenn Wissenschaftler linguistische Ausdrücke übernehmen, die außerhalb der Wissenschaft aus politischen Gründen geschaffen wurden“, erläutert Lewandowsky. „Ironischerweise droht diese Gefahr auch dadurch, dass Forscher sich gegen den Ausdruck wenden, ihn aber dabei verwenden.“

Das alles ist einerseits nicht brandaktuell, denn die Seepage-Studie ist im Sommer 2015 erschienen. Andererseits aber doch. Denn eine Untersuchung, die mit wissenschaftlichen Methoden die Luft aus dem Hiatus-Gerede lassen wollte, ist gerade zum Gegenstand eines Streits in den USA geworden. Dort übt der republikanische Kongress-Abgeordnete Lamar Smith (aus Texas) Druck auf die Behörde für Ozeane und Atmosphäre Noaa aus. Sie solle alle Dokumente und E-Mails im Zusammenhang mit einem Science-Paper vom Juni herausgeben, weil Smith angeblichen Hinweisen auf Manipulationen von Daten nachgehen will. Die Behörde lehnt das ab und bekommt viel Unterstützung dafür.

Die Science-Studie von Thomas Karl, dem Direktor des Noaa-Zentrums für Umweltinformation, schlägt eine Rekalibrierung von Temperaturmessungen vor. Es geht um die Wassertemperaturen, die auf Schiffen gemessen wurden. Das Thema klingt langweilig, hat es aber in sich. Denn wird die Korrektur angewandt, dann verschwindet fast jedes Zeichen, dass sich die Erde zwischen 1998 und heute irgendwann langsamer erwärmt hat. Und Karl sagte, bzw schrieb mir, als ich in der SZ darüber berichtete, die neue Kalibrierung solle 2016 auch in den offiziellen Datensatz der Noaa einfließen – also in eines der beiden wichtigsten Zahlenwerke, die die globale Erwärmung dokumentieren.

Das konnten die organisierten Kritiker der Klimaforschung nicht zulassen. Die Attacke des Abgeordneten Smith folgt dabei einer geradezu lehrbuchhaften Taktik, die vor allem durch Joe McCarthy bei seiner Kommunistenhatz im Kalten Krieg perfektioniert wurde. Und weil es durchaus personelle Kontinuität zwischen den Falken von damals und den Thinktanks von heute gibt (siehe Oreskes’ Buch Merchants of Doubt), haben auch Klimaforscher diese Methode zu spüren bekommen. Zuerst Michael Mann von der Pennsylvania State University und jetzt eben Thomas Karl. Dessen These, dass es eigentlich überhaupt keine Erwärmungspause gegeben habe, ist übrigens schon vorher und nachher unabhängig aufgestellt und mit jeweils anderen Methoden und Daten begründet worden; die Zahl der entsprechenden Studien hatte zunächst vier, dann vierzig betragen. Das letztere Beispiel stammt wieder von dem Lewandowsky-Oreskes-Team.

Aktuell ist die Seepage-Diskussion auch deswegen, weil sie ein Beispielfall für Wissenschafts-Philosophen geworden ist. Ich habe vor einigen Tagen in der SZ darüber berichtet, dass sie über die Unterscheidung von schädlicher und produktiver Kritik an wissenschaftlichen Erkenntnissen debattieren. Einerseits ist ja klar, dass Einwände gegen neue Thesen geäußert werden dürfen und sollen, weil sie den Erkenntnisprozess oft vorantreiben. Auch wenn es nur dadurch geschieht, dass die Kritisierten sich ihrer Argumente klarer werden. Andererseits nutzten gerade die organisierten Lobbisten diesen Mechanismus, um Klimaforscher mit aufgebauschten oder erfundenen Einwänden zu bedrängen. Es reicht ihnen schon, den Anschein einer wissenschaftlichen Kontroverse zu erzeugen, dann können sie darauf verweisen und dringend davon abraten, sich auf die Wissenschaft zu verlassen, um irgendwas zu regulieren oder gar eine Abgabe auf den Ausstoß von Treibhausgasen zu beschließen.

Dennoch ist gerade bei der Diskussion über die angebliche Erwärmungspause sehr die Frage, ob das per se unwissenschaftlich ist. Lewandowsky und Oreskes meinen offenbar: ja. Doch die vielen Aufsätze, die dazu mittlerweile erschienen sind, haben die Wissenschaft ja auch weitergebracht. „Wenn das nicht der dumpfe Trommelschlag der Klimaskeptiker gewesen wäre, wüssten wir heute vielleicht viel weniger darüber, wo sich Wärme verstecken kann, zum Beispiel im tiefen Ozean“, sagt Mathias Frisch, ein deutscher Wissenschaft-Philosoph an der University of Maryland.

Ein pragmatisches Argument mit ähnlicher Zielrichtung hat Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Er sieht die Arbeit weder als verloren noch als sonderlich fremdbestimmt an: „Das gab uns die Gelegenheit, über natürliche Variationen im Klimasystem zu sprechen, ohne dass man uns angähnt.“ Schließlich ist das Weltklima ein komplexes System, dessen Stellgrößen man noch längst nicht komplett verstanden hat. Es gibt offenbar zyklische Vorgänge, die einen Erwärmungstrend eine Weile maskieren können.

Zum Verständnis stelle man sich einmal die Bewegung eines Jojos an der Hand eines Kindes vor, das in einem Fahrstuhl nach oben fährt. Auch hier ist es möglich, dass das Spielzeug für eine kurze Zeit sozusagen stehen bleibt, bevor es dann umso schneller aufsteigt. Diesen Mechanismus jetzt diskutiert und genauer zu untersucht zu haben, hält Marotzke für einen großen Gewinn. Wäre das erst später passiert, wenn ein globales Abkommen zum Klimaschutz bereits beschlossen ist und das Publikum auf seinen Effekt wartet, dann hätte der politische Rückschlag deutlich heftiger ausfallen können, so der Max-Planck-Forscher.

Einen Beleg, dass man solche Warnungen ernst nehmen sollte, liefert die Ozonschicht. Um sie zu schützen, gilt seit 25 Jahren das Montreal-Protokoll mit seinem Verbot von FCKWs. Doch eindeutiger Fortschritt ist nicht zu erkennen, das Ozonloch wird eben nicht stetig immer kleiner. Wissenschaftler müssen ihr Publikum dann immer wieder vertrösten und ernten so mindestens hämische Kommentare. Da kann man sich ausmalen, was bei einem weitaus kontroverseren Abkommen gegen Treibhausgase passieren würde.

Christopher Schrader, 24. November 2015, alle Rechte vorbehalten

PS1: Auf Twitter hatte ich vor der Konferenz der Philosophen in Karlsruhe verkündet, es solle dort auch darum gehen, den sogenannten Klimaskeptikern das Wort Skepsis wieder zu entwinden, weil die seriöse Wissenschaft nicht ernsthaft darauf verzichten kann. Ich habe das dort auch gefragt, aber leider keine guten Rezepte gehört. Ein Teilnehmer sagte, wahrscheinlich könne man das Wort nur befreien, wenn man einen anderen griffigen Ausdruck für die Kritiker findet. Bisher ist keiner in Sicht, ich selbst eiere da auch herum. „Kritiker der etablierten Klimaforschung“ hat schon mal sieben Silben mehr als „Klimaskeptiker“. Im Englischen wird oft das Wort „denialists“ verwendet, aber das geht im Deutschen nicht. „Leugner“ ist durch die Holocaust-Leugner besetzt, und deren Behauptungen sind dann doch noch etliche Stufen widerlicher.

PS2: Full Disclosure – die Veranstalter der Karlsruher Konferenz haben meine Reise- und Übernachtungskosten für die Teilnahme bezahlt. So weit ich weiß, hatten sie eine DFG-Finanzierung dafür. Und ich habe dort auch mit diskutiert, statt passiv am Rand zu sitzen und alles zu beobachten. Dazu bewegt mich das Thema auch zu stark.

 

Kabeljau am Ende

imageKabeljau-Fischerei im Nordatlantik. Foto: Gulf of Maine Research Institute

29. Oktober 2015

Wer den Klimawandel unterschätzt, kann offenbar weder Fische noch Fischer retten. Diesem Zweck sollten schließlich die strengen Quoten für den Kabeljau-Fang im Golf von Maine dienen, die 2010 erlassen und zuletzt 2013 erheblich verschärft wurden. Dennoch erholt sich die Population kein bißchen, stellen Forscher eines lokalen Forschungsinstituts fest. Inzwischen ist die Zahl der Fische auf drei bis vier Prozent der Menge gefallen, die eine nachhaltige Fischerei erlauben würde.

Der Grund ist, dass die zuständige Behörde beim Festlegen der Quoten nicht auf die deutliche Erwärmung des Wassers geachtet hatte, stellt das Team um Andrew Pershing von Gulf of Maine Research Institute in Science fest (online, doi: 10.1126/science.aac9819). „Das immer wärmere Wasser hat den Golf immer weniger geeignet für Kabeljau gemacht, und die Reaktion des Managements war zu langsam“, sagt er. Die Quoten waren sehr niedrig und wurden wohl auch eingehalten, lagen aber trotzdem viel zu hoch.

Tatsächlich hat sich die weite Meeresbucht vor dem nordöstlichsten Bundesstaat zuletzt stärker erwärmt als 99,9 Prozent des Wassers aller Ozeane. Schon wenn die Forscher die Temperaturstatistik zwischen 1982 und 2003 betrachten, liegt die Erwärmung dreimal so hoch wie im globalen Durchschnitt, nämlich bei 0,3 Grad Celsius pro Jahrzehnt. Konzentrieren die Wissenschaftler sich auf die Dekade 2004 bis 2013, beträgt die Zunahme sogar 2,3 Grad, vor allen, weil der Zeitraum mit einem kühlen Jahr anfing und mit zwei Rekordjahren endete. 2012 herrschte geradezu eine Hitzewelle im Meer, der Golfstrom mit seinem warmen Wasser verschob sich sehr weit nach Norden. Das Pershing-Team sieht darin eine Folge des zunehmenden Ausstoßes von Treibhausgasen, sprich des Klimawandels.

Eine derartige Betrachtung eines kurzen Zeitabschnittes, dessen Anfang und Ende den Trend auch noch gewaltig steigern, entspricht nicht gerade den Regeln der Wetterstatistik. Für die Kabeljau-Studie ist sie aber gerechtfertigt. Denn gegen Ende der Periode, im Jahr 2010, traten die Fischereiregeln in Kraft, als die Zahl der Fische innerhalb weniger Jahre um vier Fünftel gefallen war. Die Fangquoten haben den Trend aber nicht gestoppt, obwohl sie 2013 um
73 Prozent gesenkt wurden, stellen Pershing und Kollegen fest.

CodManagmentMaine_pershing4HR Kopie CodManagmentMaine_pershing4HR

Während die Temperaturen Golf von Maine immer weiter anstiegen (oben, Abweichung vom Mittelwert in Grad Celsius), ging die Biomasse der fortpflanzungsfähigen Fische drastisch zurück (unten, in Tonnen). Grafik: Lenfest Ocean Program, 2015. Quelle: Pershing et al, Science (online, doi: 10.1126/science.aac9819).

Dabei war der Einfluss der Wärme auf die Fische eigentlich bekannt. Die genauen Ursachen sind allerdings noch ein Rätsel, womöglich bekommen schon Larven und Jungfische in ihrem ersten Sommer Probleme. Auch die Vierjährigen könnten kurz vor der Geschlechtsreife zu wenig Futter finden, weil ihr Energiebedarf im wärmeren Wasser deutlich erhöht ist. Jedenfalls sind im Durchschnitt alle gefangenen Fische zu klein und dünn für ihr Alter gewesen.

Das nicht zu berücksichtigen, zeigen die Forscher auf, hat in Modellrechnungen zu einer ungefähr konstanten Zahl von Fischen geführt und zu falschen Quoten, während in Wirklichkeit die Population abstürzte. Eine Modellrechnung, die den Einfluss der Wassertemperaturen berücksichtigt, hätte deutlich realistischere, niedrigere Zahlen geliefert. „Das hat zu einer frustrierenden Situation geführt und zum Misstrauen zwischen Fischern, Wissenschaftlern und Managern beigetragen“, sagt Pershing.

Selbst wenn die Kabeljau-Fischerei im Golf von Maine nun komplett verboten würde, bräuchte die Fischpopulation angesichts der beobachteten Erwärmung zehn Jahre, um sich zu erholen, zeigt eine Simulationsrechnung. Schon geringe Fangquoten könnten den Zeitraum um weitere acht Jahre verlängern. „Weil der Klimawandel die Arten in Richtung der Pole drängt, müssen Manager solcher Ressourcen zunehmend die Erhaltung der Spezies und den ökonomischen Wert der Fischerei abwägen“, schließen die Forscher. Wer wichtige Größen ignoriert, wird an dieser Aufgabe scheitern.
Christopher Schrader, 29.10.15

P.S.: Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer Freitagsgabe auch über eine aktuelle Studie aus kanadischen Gewässern, wo sich der Kabeljau dank noch strengerer Quoten – und weniger Wärme – langsam erholt.